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„Feenliebe“ – Leseprobe Teil 1

Der ehrwürdige Dichter und Denker vom Berg Tabor ging in sich und er lieferte.

Und siehe: Es war wohlgetan und so üppig, dass ich die Leseprobe von Hans-Dieter Heuns neuem Roman „Feenliebe“, die er mir so prompt zur Verfügung stellte, heute und morgen in zwei Häppchen geteilt darreiche.

Viel Vergnügen!

(Und für diejenigen unter uns, die immer alles ganz genau wissen wollen: Der Großknecht, zu dem der Bauer spricht, ist nach meiner Wenigkeit gestaltet.)

blatt

»Großknecht, ich habe wirklich lange darüber gegrübelt, doch mich nun endgültig durchgerungen, dir einmal etwas über meine Vergangenheit zu erzählen. Möglicherweise verstehst du dann, warum ich manchmal so hochgestochen daherrede. Könnt aber ebenso sein, obwohl ich das nicht glaube, dass dich Frau Holda einmal danach fragt. Und dann will ich nicht, dass du Falsches berichtest oder dir gar deine eigene Mär zusammenspinnst. Komm, setz dich her, wir trinken einen Roten, das alles dürfte nämlich ein wenig länger dauern.

Mein Vater und die Mutter besaßen gleichfalls einen Bauernhof. Wo, das tut nichts zu Sache, schon lange her, und den Hof gibt es leider nicht mehr. Ist heute ein Golfplatz, wenige vornehme aufgeputzte Damen und meist zu dicke Herren vergnügen sich auf ehemaligen Feldern, die früher Menschen mit dem täglichen Brot versorgt haben … Entschuldige meine Bitterkeit, aber ich habe unseren Hof wahrlich geliebt.

Unter fünf Geschwistern war ich der Zweitgeborene, zwei Buben und drei Mädchen, und du weißt, was das bedeutet. Mein älterer Bruder musste irgendwann übernehmen, doch er war es, der unser Land schließlich an die Stadtmenschen verschachert hat. Die Schwestern wurden gut verheiratet, und ich, weil ich angeblich gescheiter als manch anderer war, sollte auf Forstwirtschaft studieren. Mir nur recht, wann immer es ging, streifte ich ohnehin durch das Holz, lauschte den Stimmen der Vögel, kannte den Unterschlupf von Hase und Reh, den Bau von Fuchs und Dachs, sammelte Beeren und viele essbare Schwammerl. Zugegeben, ich ging lieber in den Wald als auf den Sportplatz oder wie die anderen gleichaltrigen Deppen aus dem Dorf ins Wirtshaus zum Weißbiersaufen.

Das Holz war folglich mein zweites Zuhause, und zum großen Kummer meiner Großmutter, die das Tischgebet sprach und für Kirche und angeschlossene Pfaffen stets ein offenes Portemonnaie bereit hielt, insgesamt wohl auch die Hoffnung hegte, ich, der Zweitgeborene, würde nach alter Sitte Pfarrer werden, schätzte ich damals schon das Wunder eines lebendigen Baumes höher ein als die mit Gold und Silber bemalten Heiligenfiguren, die, aus einem toten Stamm geschnitzt, in der einzig wahren Kirche ihre Verehrung einfordern.

Ein langer Satz. Öha, Großknecht, verstehst du eigentlich, was ich gerade versuche dir begreifbar zu machen? Es geht hier um meine durch mein ganzes Denken und Fühlen begründete Abneigung gegen … Schmarrn, tut nichts zur Sache, kam eh ganz anders, als damals von mir geglaubt. Ganz anders, denn – wie heißt es so schön, mein Lieber? –, die Wege des Herrn sind unergründlich. Also pass auf, ich mache es auch ein wenig einfacher für dich.

Fleischliche Begierde – und schreib dir das gefälligst sogleich hinter deine ungewaschenen Ohren –, wird meistens vom Himmel bestraft und zu einer gar grausamen Geschichte. Ausgerechnet beim Schwammerlsuchen an meinem Lieblingsplatz im Unterholz traf ich die blonde junge Frau unseres Nachbarn mit einem Weidenkorb am Arm. Sie war ziemlich verschwitzt, hatte Tannennadeln im Haar und an der Bluse, roch aber trotz ihres Schweißelns nicht ungut. In ihrem Korb lagen schon etliche Reherl, ein paar Brätlinge, aber leider gleichfalls ein Pantherpilz. Jung und deppert, wie ich damals war, sagte ich frech: „Wenn du den Panther ganz verspeist, hast in zirka zwei Stunden einen Rausch, dass du die Englein singen hörst. Außerdem wirst davon websig!“

Ich weiß nicht mehr, ob mir die letzte Bemerkung der Beelzebub selbst zugeflüstert hatte. Normalerweise war ich damals eher einer von der schüchternen Sorte, einer, der sich das Unkeusche mit einer Frau zwar oft genug ausgemalt, jedoch noch nie erlebt hatte. Aber des Nachbars Weib nahm mir meine Frechheit nicht übel, sondern antwortete nur: „Na und, Hanserl, vielleicht will ich das ja sogar.“ Dabei tippte sie mir äußerst schamlos mit dem Zeigefinger auf meinen Bauch. Sogleich trieb es mir Feuerröte ins Gesicht, und sie bemerkte das selbstverständlich. „Ach, wie süß, unser kleiner Schwammerlkönig wird noch richtig rot.“

Ich war kein Hanserl, nicht klein, war Hans, groß und kräftig. Ich packte sie mit beiden Händen an ihren Schultern, wollte sie vielleicht etwas schütteln oder so … Ah, Großknecht, auf einmal machst du Augen wie ein gamsiger Bock! Vorher hast nur ziemlich gelangweilt in dein Glas gespitzt, aber nun, beim Geschlechtlichen, bist du hellwach. Dacht ich es mir doch, Schweinkram wirkt halt immer.

Fee-ausschnitt1Die Nachbarin drängte sich mir jedenfalls hitzig entgegen, langte nach meiner rechten Hand und legte sie auf ihre Brust. „Willst sie anpacken, Hanserl?“ Irgendwo, sehr wahrscheinlich sogar in der Bibel, hatte ich einmal gelesen „Brüste wie Melonen“. Und ich fühlte tatsächlich süße Melonen, obwohl ich noch nie eine gesehen, geschweige denn berührt oder gar gekostet habe.

Ja, Großknecht, wir haben geschnackselt, auf der Stelle im weichen grünen Moos. Und nicht nur an diesem Tag. Ihr Mann, der Nachbar, saß nämlich lieber beim Rösslwirt zu Amsham, als sich um seine junge Frau zu kümmern. Und die wollte mich, andauernd. Ich bekam bereits schwarze Ringe unter den Augen, ging jedoch so oft in den Wald, dass meine Mutter bald voller berechtigter Sorge bemerkte: „Was ist bloß los mit dir, Bub? Du wirst immer magerer und ausschaun tust wie gespiem. Vertragst etwa die viele frische Luft nicht … Oder hast vielleicht gar Würmer?“

Ich hatte keine Würmer, war aber dem blonden Weib und ihrer Unkeuschheit hoffnungslos verfallen. Bis, ja bis die Nachbarin eines Tages meinem Tatschen und Grapschen wehrte, in Tränen ausbrach und nur noch stammelte: „Hanserl, ich bin tragert!“

Der Blitz schlug ein, ich verbrannte vor Schrecken, denn damit hatte ich überhaupt nicht gerechnet. Sie war verheiratet, sollte doch zumindest wissen, wie so ein Unglück zu verhindern ist. Ich musste ausgeschaut haben wie ein Ochs vorm Metzger, nur sie flennte immer weiter: „Ja, Hanserl, ich krieg ein Kind von dir, und das darf gar nie nicht sein! Der Alois, mein Mann, der schlagt mir mein Kreuz ab, der kann nämlich nicht. Also weiß er sofort, der Bankert ist nicht von ihm. Und wenn der Alois spannt, was ja nicht schwer ist, dass du der Vater bist, rennt er dir gleich die Mistgabel in den Leib!“

Ein Kind, ein Bastard, noch dazu gezeugt mit der Nachbarsfrau. Großknecht, verstehst du, was das zu jener Zeit bedeutete? Nicht nur Schande sondern bittere Feindschaft und blutige Rache zwischen Familien, die durch ihren seit Jahrhunderten aneinander grenzenden Besitz untrennbar verbunden waren. Eintracht, gar Freundschaft, die immer zwischen den Nachbarn geherrscht, war nie mehr zu retten. In Sekundenbruchteilen wurde mir das klar. Oh Gott, was war ich bloß für ein Depp gewesen. Ich, noch ein Schüler, wenn auch kurz vor dem Abitur – ja, schau nicht so ungläubig, später durfte ich sogar noch studieren –, hatte mich und zwei Familien aus purer Fleischeslust in die allerschlimmste Hölle geschnackselt.

Das, mein Lieber, war schlichtweg zu viel für mich. Ohne mich noch um die arme Nachbarin und ihr schmerzvolles Schicksal zu bekümmern, rannte ich aus dem Wald, von Furien dunkelster Gedanken gehetzt. Wohin? Nach Hause traute ich mich nicht, meine Mutter, selbst meine Großmutter hätten sofort gespannt, dass mit mir etwas nicht in Ordnung war. Sie hätten gefragt, nachgebohrt, und ich, zur Ehrlichkeit erzogen, hätte irgendwann alles erzählt. Das jedoch wäre das Ende der Geborgenheit, das Ende zweier Familien gewesen. Nein, ich brauchte ein einsames, tiefes, dunkles Loch, mich und mein offensichtlich Leid zu verstecken. Am besten für immer. Also wohin? In den Fuchsbau, wo es furchtbar stinkt und mich außerdem der Dackel des strengen Herrn Vaters binnen kürzester Zeit aufgespürt hätte? Siehst du, solch depperte Gedanken gingen mir damals durch meinen Schädel.«

Hans-Dieter Heun, 2015 – Alle Rechte liegen beim Autor

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