Nikolaus Klammer Alltägliches,Über den Tellerrand,Der Autor,Kunst,Leben,Malerei,Mein Dorf,Philosophie Form und Farbe oder: Darf ein informelles Bild Lust auf Schokolade machen?

Form und Farbe oder: Darf ein informelles Bild Lust auf Schokolade machen?

Ich habe mich bereits vor geraumer Zeit entschieden, nur noch Vernissagen zu besuchen, auf denen es Häppchen, passablen Rotwein und in ausreichender Menge bequeme Sitzgelegenheiten gibt.

Am letzten – eisigkalten – Dienstag machte ich jedoch für meinen Freund Norbert Kiening eine der seltenen Ausnahmen: Ich verließ die heimelige Wärme meines Lieblingsleseplatzes neben dem Holzofen (George Eliot ist eine geduldige Warterin) und machte mich in der frühen Dunkelheit nach Augsburg auf, um auf Norberts Einladung hin an der Eröffnung seiner Ausstellung in der Galerie Beate teilzunehmen. Die kleinen, aber feinen Räume verstecken sich in der Nähe des Lueginslands(1) halb unter dem erst in der Weimarer Zeit wiedererrichteten Fischertor, durch das sich die Straßenbahn quietschend in einer engen Kurve hindurchzwängt.

Nun, die Galerie hat mehr Eingangstüren als Zimmer, aber irgendwann – nachdem es einem gelungen ist, sich durch die einander um den Hals fallenden und sich gegenseitig abknutschenden Künstlerkollegen zu schieben – findet man doch einen Weg hinein. Norbert – seit 2005 der Vorstand des Augsburger BBK – zeigt in der drangvollen Enge der Räume neben einigen leichter verkäuflichen und verdaulichen Holzschnitten zwei großformatige Ölgemälde, die in ihrer expressiven Wucht den Raum beherrschen und ihre volle Wirkung kaum in einem Wohnzimmer entfalten können und sich eher für repräsentative Geschäftsräume eignen. Mir ist es im Gewühl des Publikums nicht gelungen, ein Foto zu machen, auf dem sich keine drängelnde Schulter oder ein Schattenriss vor die Bilder schieben. Ich konnte auch nicht genügend Abstand schaffen, um das ganze Gemälde einzufangen.

Kiening

Norbert Kiening ist nicht Jakob Nix. Die schokoladigen Erdtöne im Gemälde sind direkt aus der Tube gedrückte Farben und nicht das Ergebnis seiner Verdauung.

Norbert malt gegenstandslos. Er saugt zwar deutlich erkennbar wie ein Schwamm die Farben und Formen der von der mäandernden Schmutter geformten Landschaft seines Wohnortes Diedorf in sich auf, gibt aber im schöpferischen Akt in der Entfremdung seines Ateliers nur formlose, emotionale Erinnerungen und Eindrücke wieder. Die wuchtigen Gemälde des stämmigen Oberbayern, bei dem Kunstmachen immer auch gewalttätig ist, haben kein „Konzept“, keine versteckte Botschaft, sie sind nicht politisch, nicht philosophisch. Man nennt das wohl „informell“.

Ich bin ein Autor, der jeden Tag mit der flüchtigen chimärenhaften Welt ringt. Ich will sie fassen, begreifen und in das Gefängnis meiner Worte sperren. Den Augenblick einfangen. Nur so kann ich existieren, nur so fühle ich mich. Form und Farbe, die bei diesem Maler Mittel sind, eine Emotion zu wecken, dienen mir in meiner Literatur als Zweck, den Gegenstand und die Handlung zu beschreiben. Kurz: Es fällt mir schwer, Norberts Kunstauffassung nachzuvollziehen. Zudem benutzt er in den ausgestellten Gemälden bedenkenlos das landscape-Format und arbeitet mit das Bild querenden Raumlinien, was zwangsläufig beim Beobachter den vom Künstler nicht erwünschten Effekt erzeugt, dass er im Gemälde eine Landschaft sucht und auch findet.

Gerade das Bild „Zwischenräume“ erinnert frappant an ein Landschaftsgemälde:

vergleich

Norbert Kiening – Zwischenräume, 2014 Öl/Acryl – Mischtechnik 190 x 230 cm + Caspar David Friedrich – Riesengebirgslandschaft mit aufsteigendem Nebel, um 1819/20

Diesen Effekt zu erklären, war auch die Zwickmühle von Jürgen Meyer, der die einführenden Worte in der Vernissage sprach. Obwohl der in Kempten lebende Künstler auf Erfahrungen als Kunsterzieher (2) und Dozent zurückgreifen kann, fiel es ihm doch schwer, sich dem künstlerischen Wollen von Norbert Kiening anzunähern, denn seine eigenen Werke sind zwar abstrakt, aber eben nicht gegenstandslos.

Ich besitze übrigens ein kleinformatiges Werk von Norbert (ein größeres übersteigt meine finanziellen Möglichkeiten), das mir gelungener scheint und in seiner sommerlichen Farbenfreude eine mir wesentlich sympatischere Grundstimmung transportiert. Der Maler selbst sieht auch hier keine Landschaft, denn als er es selbst in meinem Haus an der Wand befestigte, hängte er das titellose Werk erst einmal versehentlich verkehrt herum auf. Erst als ich feststellte, dass das Gekritzel in der oberen, linken Ecke die Signatur des Künstlers war, wurde der Fehler bemerkt.

Kiening

Mich überkamen beim Betrachten der neuen, eher in düsterer Stimmung gehaltenen Gemälde von Norbert weniger Landschaftsassoziationen, als vielmehr ein unbestimmtes, synästhetisches Verlangen nach Schokoladenmilchreis und Weihnachtsstollen. Ich zweifle ernsthaft, ob der Maler diese Empfindungen erzeugen wollte. Aber es gilt wohl, dass der Schöpfer sein Werk in dem Moment aus der Hand geben muss, in dem er es vor ein Publikum stellt. Dann ist es erwachsen geworden und muss seinen eigenen Weg gehen. Der Künstler kann es nicht mehr vor Vorurteilen und ungerechten Einschätzungen schützen, nicht weiter pflegen und behüten.

Er muss loslassen.

Die Galerie Beate ist auf jeden Fall einen Besuch wert und nur wenige Straßenbahnstationen vom Augsburger Weihnachtsmarkt entfernt. Am 30. Januar findet in ihren Räumen übrigens die Buchvorstellung der „Dachauer Elegien“ statt, zu denen Norbert Kiening die Fotos geliefert hat. Vielleicht sieht man sich ja…

____________

(1) Das Lueginsland ist eine Festungsanlage an einem strategischen Punkt der hier noch recht gut erhaltenen Augsburger Stadtmauer. Sie beherbergt einen netten, schattigen Biergarten und einen ausgedehnten Spielplatz an dem Ort, an dem die Augsbürger im Mittelalter ihre Hexen verbrannten. Wie Bert Brecht bin ich im schatten des Lueginslands aufgewachsen, dort habe ich heimlich Zigaretten gepafft und erste schüchterne Kontakte zum anderern Geschlecht geknüpft.

Literarisch habe ich das z. B. hier verarbeitet: Das Karussell

(2) Meyer bot übrigens an diesem Abend ein klassisches Beispiel für die sog. „professionelle Deformation“. Im Zusammenhang mit einem Zitat von Kandinski begann er, das Vernissagenpublikum wie Schüler auszufragen.

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