Wochenlese 25. – 31. August 2014

Die österreichische Literaturzeitschrift VOLLTEXT [1] führte eine Zeit lang die hübsche Kolumne Unwürdige Lektüren. In ihr wurde bei Autoren nachgefragt, für welchen Lesestoff sie sich so schämten, dass sie  ihn am liebten verschweigen würden. Sieht man sich einmal eine Liste der meistgelesenen E-Books an, die man ja praktisch unter Ausschluss der Öffentlichkeit  lesen kann, wird der Begriff unwürdig deutlicher. Mir richten sich immer wieder die Nackenhaare auf, wenn ich sehe, welche Art von Büchern in der Hauptsache gelesen werden. Da die meisten Besitzerinnen von E-Book-Readern Frauen sind, sind es vor allem seichte Liebesromane, Unterwerfungsphantasien, Vampir-Fantasy und ab und an mal ein dicker Gesellschaftsroman oder ein blutiger Thriller. Zwischendurch taucht mehr oder weniger explizite Pornografie auf (Auch ein paar Männer haben E-Books).

Bei uns Autoren ist das anders. Bei ihnen ist es nicht die Unwürde ihrer Lektüren, sondern die Art des Konsums derselben, über die zu schreiben uns eigentlich die Scham Stille auferzwingen müsste. Schriftsteller gehören in aller Regel zu den Gargantuas und Pantagruels der alles verschlingenden, wahllosen Viel- und Allesleser, auch wenn ihnen manches sauer aufstößt, im Gedärm grummelt und sie um die Nachtruhe bringt. Sie sind keine Gourmets, die kleine, übersichtliche Portiönchen von diesem und von jenem Wohlzubereiteten delektieren und sich bei einem kleinen Gläschen Wein an schmackhaften phantasievollen Häppchen erfreuen. Wir Autoren sind Säufer und Fresser, oft kannibalische Carnivoren, die jeden noch so verqueren Textbrocken mit wohligem Stöhnen und ohne Kauen in uneren Schlund stopfen und Flüssiggeschriebenes literweise hinterherkippen, um alles halbverdaut über unserem eigenen Werk zu erbrechen oder defäkieren. Wir sind krank, wir haben „Bücher“.

Noch immer gilt der Satz: „Wer ein Buch schreiben will, sollte vorher eintausend Bücher gelesen haben.“ [2]

Um dieses Flüssige, das die Kehle für den Anspruch schmiert, geht es mir heute; um meine Gute-Nacht-Lektüre. Robert Musil zum Beispiel, Heimito von Doderer, David Foster Wallace [3] oder Thomas Pynchon lesen sich nicht gut im Liegen, sie haben „Aufrecht-Sitzen-und-aufmerksam/andächtig-in-ihnen-lesen“-Bücher geschrieben. Das liegt nicht nur am Gewicht der Tausend-Seiten-Wälzer, durch das jeder kurze Halbschlaf und ein damit einhergehendes Erschlaffen der Armmuskulatur zur Todesfalle werden können, sondern auch an den Inhalten. Man sollte im Bett nichts Schweres konsumieren. [4] Man schlägt das Buch auf. Sein Schatten schwebt wie ein drohendes Damoklesschwert über dem von des Tages Müh und Last ermattet in die Pfühle gesunkenen Haupt. Der Bucheinmerker – wenn er nicht wieder heruntergerutscht und verloren ist – hilft wenig. Man muss zurückblättern. Wer war schon wieder diese Agathe und von welcher Begebenheit redet sie da, verd… Habe ich das wirklich schon gelesen? Nach zwei Seiten verheddert sich der eh schon viel zu komplexe Inhalt mit den eigenen wirren Gedanken. Man liest einen Absatz dreimal und weiß immer noch nicht, was ihn ihm steht und… Wo war ich?

Nacht

Frau Klammerles Nachtkästchen.

Nein. Das geht einfach nicht. Auf der anderen Seite habe ich einfach noch Lust auf einen Mitternachtsimbiss. Mich hüngert nach dem einen oder anderen Lektürebrocken. Auch wenn ich es am nächsten Morgen auf der Waage bedauere. Auf diese Weise kommen meine Unwürdigen Lektüren ins Spiel. Es sind die Bücher, die auf meiner Leseliste nebenan nicht erscheinen und doch einen nicht unbeträchtlichen Teil dessen ausmachen, was ich an Geschriebenem konsumiere. Es sind Comics, die ich hier vielleicht noch als anspruchsvolle „Graphics Novel“ verkaufen könnte [5] oder – hauptsächlich – triviale Science Fiction; Star-Trek-Bücher und Perry Rhodan, der Erbe des Universums.

Gerade ein Rhodan-Heft (in beiden Bedeutungen schön leicht und handlich) ist meine ideale Bettlektüre. Da meine Glossen und Texte nicht gelesen werden, kann ich hier mir selbst gestehen, dass ich ungezählte Male mit Gucky, dem Mausbiber, Atlan, dem Einsamen der Zeit, mit Icho Tolot, dem Haluter und Alaska Saedelaere, dem kosmischen Menschen [5]  in, neben, unter und zwischen dem Universum unterwegs war. Ich habe sogar schon einmal zum Privatvergnügen eine eigene Art Perry-Rhodan-Roman geschrieben, um zu sehen, ob ich so etwas im knappen Zeitrahmen von einer Woche kann. [6] Die inzwischen auf bald 2800 Bände angewachsenen Heftchenromane und die dazugehörige, unübersehbare Menge an Taschenbüchern, Hörspielen und Computerspielen, die seit über 50 Jahren von einem Autorenkollektiv herausgegeben werden, sind beim besten Willen für eine Einzelperson nicht mehr alle lesbar und schwanken in ihrer Qualität zwischen gut gemachter Genreliteratur und „Geht überhaupt nicht“. Die Geschichtenzyklen der jüngeren Autorengeneration halten sich aber zumindest oft im oberen Mittelfeld auf. Auf einen Neueinsteiger wird die Perry-Rhodan-Welt mit ihrer Pseudophysik und ihren endlosen Handlungssträngen (Man ist ja zum Glück „unsterblich“) so komplex wie ein Heideggertext wirken, allerdings ist sie weit weniger bedeutend. Deshalb haben die Autoren der Serie einen Neustart verpasst, die „Neo-Reihe“ für die nächste Generation. Alles gibt es inzwischen auch als E-Book. [7]

Ich betone: Ich lese das alles nur, damit ich satt und zufrieden einschlafen kann – nicht, weil es mir gefällt. Das würde ich nie zugeben…

____________

[1] VOLLTEXT (volltext.net) erscheint einmal im Quartal im Zeitungsformat. In ihr kommen weniger Kritiker, als die Autoren selbst zu Wort. Dadurch ist diese Zeitung ist wesentlich innovativer, origineller und interessanter als die einschlägigen deutschen Glanzlack-Magazine, die mir als Überzeugungstäter und Bücher-Abhängigen harnäckig einreden wollen, wie viel Spaß doch Lesen mache. Felix austria.

[2] Vielleicht genügt es auch, ein Buch zu lesen, dessen Autor tausend Bücher gelesen hat.

[3] Wallace hat übrigens eine ebenso fetischhafte Vorliebe für Fußnoten [3a] wie ich. Ich selbst hasse sie übrigens bei anderen.

[3a] Er benutzt sogar innerhalb von Fußnoten Fußnoten.

[3] …und auf keinen Fall rauchen! Dadurch hat uns Frau Bachmann um den Genuss ihres Alterswerks gebracht. Wer Angst vor dem plötzlichen Buchtod im Bett hat, sollte zum E-Book greifen. Mal von ihrem Inhalt abgesehen, sind Bücher digital weitaus weniger schmerzhaft als analog.

[4] Eine Anmerkung zu meiner Klage über schlechte Berglektüre, die ich letzte Woche angestimmt habe. Eines der besten Bücher über Berge ist ein japanischer Manga: „Der Gipfel der Götter“ von Jiro Taniguchi.

[5]  Wer sich für diese Namen interessiert: www.perrypedia.proc.org

[6] Den Teufel werde ich tun und ihn hier veröffentlichen. Ein paar Handlungsstränge tauchen in „Brautschau“ wieder auf.

[7] Da hat man dann praktischerweise gleich mal einhundert Hefte auf einmal auf dem Reader.

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