Wahrheit – eine Kurzgeschichte von Hans-Dieter Heun

ハンス·ディーターの干し草

真実

 

Die Geburt einer zufälligen Japanerin … also nicht die zufällige Geburt einer Japanerin, sondern eine ganz normale Geburt einer zufallenden … Japanerin, die fiel … Quatsch, Zufall eben…

 

Es begab sich an einem grauen Mittwochvormittag … Entschuldigung, dass ich, der Verfasser, bereits am Anfang den Fluss der Erzählung – also eher die Quelle der Erzählung, für Mitdenkende – unterbreche, aber an sich ist das Grau des Morgens nicht besonders wichtig, es soll nur implizieren, dass sich keineswegs der Himmel über Japan auftat – und besonders keineswegs über Shikoku – und folglich auch kein japanischer Jesus mit Gloriole in einem solarbetriebenen Honda auf morgendlichen Sonnenstrahlen gen Tokushime (bekannt für die Züchtung von Shikoku-Hunden, sogar weltbekannt) herab fuhr und ebenso folglich auch keineswegs für den nachfolgenden berichtenswerten Bericht verantwortlich gemacht werden kann … jener japanische Jesus.

 

Wo war ich, wo will ich hin? – Es begab sich also, dass die zweijährige Mamiko, ein Mädchenname. der übersetzt, obwohl ich kein Japanisch kann und wahrscheinlich in meinem hohen Alter auch nicht mehr lernen möchte, ‚Kind von Mami‘ bedeutet … irgendwie logisch, Kind von Mami, ja, ziemlich logisch sogar.

 

Es geschah durch reinen Zufall, dass die zweijährige Mamiko an einem grauen Mittwochmorgen ein gesundes Mädchen gebar. Weil jedoch die Zweijährige ihren Namenswunsch für das Neugeborene mittels des für sie ebenfalls noch recht schwierigen Japanisch nicht selbst klar zu äußern vermochte – außerdem kannte Mamiko noch nicht besonders viele japanische Mädchennamen, gleichermaßen logisch in ihrem Alter –, nannte die Mami von Mamiko das per Zufall geborene Mädchen einfach oder auch klipp und klar Mitsuko, Kind des Lichtes. Obgleich der Morgen tatsächlich eher grau erschien. Und Zufall eigentlich nur, weil Mamika noch keinen männlichen Boyfriend besaß … besser ausgedrückt, mit keinem japanischen Boyfriend regelmäßig schlief, und damit eine natürliche Zeugung eher unwahrscheinlich gewesen ist. So wurde von der Behörde, dem zuständigen Standesamt auf Shikoku, welche die Geburtsurkunde schließlich anstandslos – ohne Anstand – ausstellte, reiner Zufall als Vater akzeptiert. Schließlich war Mamiko wahrhaft eine reine Jungfrau, zumindest noch. – Und solches ist in ihrem Alter selbst auf japanischen Inseln eher kein Zufall, im Gegensatz zu manch norddeutschen, schwäbischen oder mittelösterreichischen Gauen. Obwohl, bei Japanern weiß man das auch nie ganz genau. Ich erinnere an die allseits bekannte Enge der japanischen Wohnungen, da kann sich eine Zweijährige schon einmal schnell und unwiderruflich an intimster Stelle verletzen.

 

Nach Durchtrennung der Nabelschnur und dem Verspeisen der Nachgeburt durch den weltbekannten Shikoku-Hund – Lieblingsfressen, also nicht Hähnchen- oder Walfischhoden, wie so oft fälschlich berichtet –, stellte die Hebamme fest, das Neugeborene wäre gänzlich gesund: gesunde japanische Zehen bis zu den japanischen Lenden, gesunder japanischer Bauchnabel, gesunde japanische Nippel, gesunde japanische Augen, leicht japanisch geschlitzt, und … auf dem kleinen japanischen Köpfchen ein gesunder Haken, ähnlich dem eines Kleiderbügels. Eines ganz normalen europäischen Kleiderbügels. Die Mami von Mamiko wunderte sich aber nicht allzu lange japanisch über jenen normalen Bügel, sondern redete nur in der Landessprache vor sich hin: „O wie praktisch, da kann ich die kleine Mitsuko ja einfach zum Wachsen in den Kleiderschrank hängen.“ – Die Enge ihrer Wohnung war Mami gleichfalls wohl bewusst.

 Japan

Japanisch gesagt, japanisch getan, und nun geschah tatsächlich ein Wunder – doch selbst dafür brauchte es keinen Jesus, der in einem solarbetriebenen Honda Mami, Mamiko, Mitsuko, ihre enge Wohnung und den Kleiderschrank heimsuchte: Hinfort verbreitete sich nämlich ein geradezu himmlischer Duft in den Fächern des Schrankes, zwischen den Kimonos, der Reizwäsche und selbst in den Laken. So überwältigend reizvoll, dass Frau Mami schier nicht mehr auf den odeur paradisiaque japonais verzichten mochte und daher Mitsuko nie mehr aus dem Kleiderschrank nahm. Doch als die zweijährige Tochter Mamiko, wiederum aus reinen Zufall oder Parthenogenese, in Abständen von zwei Tagen weitere weibliche Kleinstkinder mit Bügel in die japanische Inselwelt setzte – wobei bekanntermaßen die Kleinkinder in Japan ohnehin zu den kleinsten unter kleinen Kindern zählen –, wurde der Kleiderschrank selbst für die Kleinsten der Kleinen zu klein.

 

Es ist neben dem Nachgeburten fressenden Shikoku-Hund weiterhin weltweit bekannt, dass Japaner gute Geschäftsmänner sind, japanische Frauen noch bessere Geschäftsfrauen. Die Mami von Mamiko und Großmami von unzähligen Mitsukos, immer noch restlos überzeugt von dem paradiesischen Duft und dessen Wirkung, gründete alsbald eine Verleihfirma für ihre Enkelkinder, Rent a japanese Minigirl, und warb mit dem Slogan:

 

Häng Mitsuko in den Schrank,

Keine Motten, kein Gestank!

 

Die Wahrheit und nichts als die Wahrheit. Ich, armer Poet, erwachte an diesem bewussten grauen Mittwochmorgen, und vor meinem inneren Auge standen leuchtend klar jene Worte: Die Geburt einer zufälligen Japanerin. – Was also sonst damit machen?

 終わり

3 thoughts on “Wahrheit – eine Kurzgeschichte von Hans-Dieter Heun”

  1. Ja, es ist äußerst bemerkenswert, was das Gehirn eines Möchtegernschriftstellers manchmal mit ihm macht. So wachte ich an einem schönen Morgen wieder einmal auf – was normal zu nennen ist und selbst für mich durchaus nicht ungewöhnlich, wenigstens bis dato – und hatte folgenden Satz im Kopf: Du sollst nicht Esel brechen!
    Das ist jedoch eine andere, diesmal wahrhaft ungewöhnliche Geschichte.

  2. Wenn man wie du zum Abendessen cojónes de carndero y cuje e pimientos genoss, sind solche Träume nicht weiter verwunderlich. Vielleicht wäre vor der Nachtruhe ein mildes Zucchini-Karotten-Süppchen die bessere Wahl…

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