Nikolaus Klammer Alltägliches,Der Autor,Leben,Literatur,Wandern The Twilight Zone Bad Birnbach – Teil 2

The Twilight Zone Bad Birnbach – Teil 2

Was bisher geschah:

Frau Klammerle und ich waren aus den eher herbstlich als winterlich zu nennenden Tagen zwischen den Jahren weit zurück in die nebliggrau-nasse Vergangenheit des von Welt, Kultur und Gott verlassenen Kurorts Bad Birnbach gereist, wo man offenbar seit Wochen vergessen hatte, die Fenster der Thermen zu schließen. Vor Ort wurden wir im Zeitloch langsam von einem tanzwütigen, misantrophen und neidvollen Rentnervolk und den eigenartigen, in geheimnisvollen Lauten raunenden Ureinwohnern umzingelt, die jeden Zombiefilm zu einem unvergesslichen Horrorspektakel gemacht hätten.

Wir logierten in einem tristen Garni, das „Bauernstuben“ und „Neue Zimmer“ vermietete. Wobei die Hotelierfamilie – ohne weiters auf uns zu achten – bei unserer Ankunft lautstark darüber debattierte, ob wir Jungvolk aus der Stadt es verdienen und uns leisten können, für zwei Nächte die drei Euro teurere Variante (mit Fernseher und Toilette im Zimmer) zu beziehen. Es rächte sich mal wieder, dass die westbayerische Schwäbin Frau Klammerle  gerne mal das billigste Angebot auswählt.

Über Bad Birnbach thront Hans-Dieter Heun wie der Alte vom Berg über den alltäglichen Dingen und schreibt neben seinen pittoresken (ha!) Erzählungen und Romanen gerne auch mal bei Facebook und unter meine Blogbeiträge ebenso tiefsinnige, wie unverständliche Kommentare zum von ihm belächelten Geschehen draußen in der Zivilisation. Ein Tip: Falls morgen die Welt untergehen sollte, schließlich soll das nach dem Mühlhiasl kommen, wenn „man Sommer und Winter nicht mehr unterscheiden kann“ und „man Mandl und Weibl nimmer auseinanderkennt“, – also sehr bald – dann werfe dein Brot hinter dich und reise nach Niederbayern, dort passiert alles dreißig Jahre später.

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Der Baumwipfelpfad in Neuschönau

Wir entschieden uns zur Flucht. Nach einem traurigen Frühstück mit ausschließlich weißen Semmeln, Marmelade und Butter in kleinen Alubechern, durchsichtigem Filterkaffee und Magermilch machten wir einen Ausflug in den nahen Bayerischen Wald. Unser Ziel war die Ortschaft Neuschönau kurz hinter Grafenau, wo der Eingang in den Nationalpark und ein sogenannter „Baumwipfelpfad“ locken. Tatsächlich fanden wir wieder aus dem Nebel zurück in das, was man dort im Osten nahe der Grenze zu Tschechien als Kultur bezeichnet; also dem Fremden und Touristen irgendwelchen gläsernen und geschnitzten Unfug zu unverschämten Preisen anzudrehen. Immerhin gingen hier die Uhren nur ein wenig nach, gerade mal eine Woche. Man feierte daher weiterhin beflissen Advent und es gab auf den leicht verschneiten Höhen noch einen netten Weihnachtsmarkt, auf dem man Glühwein und leckere gebratene Mandeln erhalten konnte. Der nicht allzu interessante, aber viel begangene – um nicht zu sagen, überfüllte – Baumwipfelpfad macht dagegen eher einen österlichen Eindruck und schraubt sich in Eierform zu einer schönen Aussicht über den Nationalpark empor. Interessant, dass man dort auch Sehenswürdigkeiten bewundern kann, die nicht zu sehen sind:

...man sieht, dass man nichts sieht!

…man sieht, dass man nichts sieht!

Das wäre doch ein gelunges neues Kunstprojekt nach meiner DOOR-ART (siehe: hier), die die Diedorfer Kultur nachhaltig erschütterte und dazu führte, dass meine Nachbarn alle ihre Türen auswechselten:

INVICIBLE ART.

Ein Museum für unsichtbare Kunst muss her. The art of the unseen! Hier könnte man hinter Glas die Gedanken von Heidegger über das Nichts bewundern, die Geistesblitze eines James Joyce, die Konsekration von Wein, Schillers Gedankenfreiheit, dazu leere Rahmen, weiße Leinwände, den Haken an der Sache, das Rollenverständnis eines Schauspielers, auf Fernsehern würden die Kulturmagazine von RTL und Sat1 laufen, Beamtenschweiß, Portaits von ehrlichen Politikern und in einer Ecke stapelt sich das Geld, das ich mit meiner Schriftstellerei verdiene. Vereinzelt findet man schon solche Werke in den Ausstellungen und Galerien, so entdeckte ich letzte Woche in der Staatsgalerie für Moderne Kunst im Augsburger Glaspalast folgendes Meisterwerk:

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Es handelt sich wahrscheinlich um Bad Birnbach im Nebel, um wieder zum Thema zurückzukommen.

Der Ausflug zum Nationalpark lohnte sich übrigens nicht nur wegen dieser genialen Idee, mit der ich die Kunstwelt nachhaltig revolutionieren werde*, sondern auch wegen der Wanderwege; ein wunderschöner führt in einem großen Rund durch ein Freigehege, in dem angeblich Bären, Löwen, Hirsche, Wölfe, Luchse, Wildschweine, Elche und diverses anderes Wild zu erblicken sind. Offensichtlich wurde hier schon meine Idee vom unsichtbaren Museum in einen unsichtbaren Tierpark abgewandelt. Außer seltenen Wanderern, verschlafenen Raubvögeln und einem hyperaktiven Otter war kein Leben in den verschneiten Wäldern zu entdecken. Interessant ist auch, dass an jeder Wegkreuzung ein Plumpsklo für die Touristen steht, sich also niemand zum Fäkieren hinter einen Busch begeben muss.

Aber auch der schönste Tag geht zuende und wir mussten zurück in die Achtziger. Als wir in den Kurort hineinfuhren, hatten wir das Gefühl, dass die Menschen in der Zwischenzeit wie abgelaufene Spieluhren bewegungslos auf der Stelle verharrt waren und sie erst jetzt – durch unsere Ankunft gezwungen – wieder ihren Betätigungen nachgingen, noch langsam und unwillig. Stotternd startete der Motor des Bads. An diesem Abend aßen wir – dem Herrn des Berges sei es gedankt – oben auf dem Hof von Hans-Dieter. Ich weiß nicht, ob ich es schon erwähnt habe: Er ist nicht nur ein begnadeter Autor, sondern auch ein ebenso begnadeter Koch, wenngleich seine Küche für mich als Vegetarier ein wenig zu fleischlastig ist und er mir fürs Risotto statt einer Gemüsebrühe eine auf Gänsefettbasis unterjubelte.

Lieber Leser, sollten dich deine Wege irgendwann einmal aus mir unverständlichen Gründen nach Bad Birnbach führen, vielleicht hast du dich auch nur im Nebel verfahren – dann zögere nicht, dich mit Hans-Dieter in Verbindung zu setzen. Sage ihm, ich hätte dich geschickt. Lass die Düsternis und die leidenden Kurmumien hinter dir. Wandle hinauf zu dem im Sonnenlicht badenden Hügel, auf dem er residiert. Setze dich neben ihn auf einen Stuhl unter dem Haselnussstrauch beim Fischweiher und lausche einer der Geschichten, an der er dich in seiner Weisheit teilhaben lassen wird. Lobe ihn reichlich, kaufe ihm ein paar seiner Romane ab und vielleicht wird er dich zum Essen einladen.

Näher ans Paradies wirst du hienieden nicht gelangen.

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*Seit geraumer Zeit veröffentliche ich jeden Mittwoch hier auf meinem Blog exklusiv einen unsichtbaren Artikel. Demnächst werde ich diese Beiträge gesammelt als E-Book bei Amazon herausgeben.

2 thoughts on “The Twilight Zone Bad Birnbach – Teil 2”

  1. Wie schon einmal dazu bemerkt: Die Wahrheit, die reinste Wahrheit und nichts als die Wahrheit. Ich schwöre.

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