Nikolaus Klammer Alltägliches,Der Autor,Leben,Literatur,Wandern The Twilight Zone Bad Birnbach – Teil 1

The Twilight Zone Bad Birnbach – Teil 1

Zwischen den Jahren war es mal wieder so weit:

Frau Klammerle und ich besuchten meinen Freund Hans-Dieter Heun – den ich an dieser Stelle wohl nicht mehr vorstellen muss – auf dem idyllischen Vierseithof, den er im niederbayerischen Bäderdreieck(1) gemietet hat und seit vielen Jahren mit seiner Frau bewohnt und pflegt. Das bäuerliche Anwesen liegt zwischen Feldern und Wäldern auf einer sanften Anhöhe, die vielleicht nach dem Ort der Verklärung Christi benannt ist, aber wahrscheinlich eher eine frühneuzeitliche Wehranlage bezeichnet, die es dort einmal gegeben haben muss. Beide Deutungen passen zu dem mal verklärten, mal wehrhaften Autor und Koch. Hier oben residiert in klösterlicher Abgeschiedenheit der Einsiedler erhaben über allem weltlichen Treiben, hält Zwiesprache mit der Natur und allerlei keltischen Waldgeistern und feilt an seinen skurrilen Geschichten. Für Frau Klammerle und mich ist ein Besuch immer ein wenig wie ein Heimkehren nach einer langen Reise.

Die Heunsche Residenz an einem schönen Sommertag

Die Heunsche Residenz an einem schönen Sommertag

Diesmal allerdings übernachteten wir nicht direkt bei unseren Freunden, sondern hatten über das Netz ein Hotelzimmer im nahen Kurort Bad Birnbach gemietet, dessen Wellness-Angebote wir nach den üppigen Feiertagsvöllereien nutzen wollten, um uns fürs neue Jahr fit zu machen. Birnbach liegt in der Flussniederung der Rott an der B 388 und darf sich seit 1987 „Bad“ nennen. Den übersichtlichen Ort dominieren der häßliche neue Golfplatz am Ortseingang, große Kurhotelanlagen und eben die Therme. Sie bietet neben einer netten Saunalandschaft heiße, leicht nach Schwefel riechende Wasserbecken, in denen inkontinente Kurgäste ihre Nachmittage damit verbringen, auf Wassersprudeln zu sitzen oder sich gegen Düsen zu drücken und dabei ihre Ressentiments und allerlei multiresistente Keime pflegen. Erwähnenswert ist vielleicht der langezogene, meiner Faulheit entgegenkommende Strömungskanal, in dem man mit einer Schwimmnudel ausgerüstet seine Kreise drehen kann. Im übrigen erhält man – und das ist die Hauptattraktion des Ortes – in der italienischen Eisdiele gegenüber der unsäglich kitschigen Schaufenster eines Bayerwaldglas-Kaufhauses das beste Tartuffo der Welt. Leider ist das Café im Winter geschlossen.

Obwohl wir nun ebenfalls zu den älteren Semestern zählen, senken Frau Klammerle und ich beim Betreten der Ortschaft weiterhin den Altersdurchschnitt von Birnbach um ein paar Jahre. Dass die niederbayerischen Kurorte ausgedehnte Altersheime sind, ist uns durchaus bewusst. Wir haben jedoch nicht damit gerechnet, wie gruslig und unheimlich unser Abstecher diesmal würde…

Birnbach im Nebel

Birnbach im Nebel

Unser Kurzurlaub begann verheißungsvoll: Als wir mittags in Augsburg aufbrachen, meinte es des Winter gut mit uns. Er bescherte uns einen strahlenden Sonnentag, der zwar kalt, aber klar und hell war. Die ganze Fahrt über standen im Süden gewaltig der Alpenhauptkamm und später hinter Landshut in östlicher Richtung der Bayerische Wald; sie rückten in greifbare Nachbarschaft und erweckten bei uns Sehnsucht nach den sommerlichen Wandertouren, die leider noch Monate auf sich warten lassen werden. Der ganze Tag war ein Geschenk des Föhns. Das änderte sich schlagartig, als wir uns hinter Spitzmausing(2) in die Niederung des Rotttals gelangten. Lichtjahre von jeglicher Zivilisation entfernt drangen die Klammerles in Ortschaften vor, die noch nie ein vernünftiger Mensch betreten hat.

Hier im Tal, wahrscheinlich dem einzigen Nebelloch in ganz Bayern, waberte eine dicke, feuchtkalte Suppe.  Uns war, als würden wir mit dem Nebel in eine andere Welt tauchen und in eine andere Zeit. Wie in einer alten Startrek-Folge gelangten wir aus einem sonnigen Samstag Ende 2013 in eine temporale Anomalie, die uns mindestens 25 Jahre zurückführte. Birnbach ist in dem Jahr, in dem es zum Bad erhoben wurde, stehengeblieben. Es existiert in einer Zeit, in der der bayerische Ministerpräsident Strauß heißt, der Papst ein Pole und der amerikanische Präsident ein drittklassiger Cowboydarsteller ist, es die Mauer noch gibt, Internet ein Fremdwort und die Chartstürmer Milli Vanilli sind. Eine düstere, trübe Stimmung hängt über der Ortschaft, in der wir gemeinsam mit geister- und schattenhaften Rentnerschemen auf der Suche nach einem einzigen nicht geschlossenen Café durch den Nebel irrten, in dem es  zum Kaffee (nur Kännchen!) Sahne in kleinen Plastikbechern gibt und die Teekarte aus Schwarztee, Pfefferminz- und Kamillentee besteht. Es ist eine Welt, in der die Hoteltür ab 18:00 Uhr verschlossen ist und es „Toast Hawaii“, aber keine vegetarischen Gerichte auf den Speisekarten gibt. Uns wunderte, dass man dort bereits mit Euroscheinen bezahlen kann.

Ein Angebot, das man nicht ablehnen kann

Ein Angebot, das man nicht ablehnen kann

Am Abend verirrten wir uns in die Vorhölle eines Lokals, das auf einem Schild neben dem interessanten Tagesgericht „Musik und Tanz“ versprach. Über dem Eingang hätte eigentlich stehen müssen: Lasst, die ihr eintretet, alle Hoffnung fahren!“ Der Papst hat zwar in seiner Weisheit die Vorhölle abgeschafft, aber das hat sich selbstredend in Birnbach noch nicht herumgesprochen. Obwohl mit dem Dunkelwerden die Straßen so leer wie die in einer Wildwest-Geisterstadt wurden, brummte der Laden. Es war wahrscheinlich die einzige Gaststätte, die um diese Zeit noch geöffnet war und etwas bot, das entfernt an Unterhaltung erinnerte. Ein Alleinunterhalter quälte seine elektronische Orgel, sang dazu gelangweilt Sechziger-Jahre-Schlager, die ich als Nachgeborener glücklicherweise bis dahin verpasst hatte. Dazu tanzte reichlich animiert das Kurvolk, das sich zu jung fühlte, wie die anderen Rentner schon längst im Bett zu liegen, damit sie die ersten am Frühstücksbuffett sein können.

Am Nebentische wippten begeistert im Takt der „heißen“ Rhythmen feiste Frauenleiber und streuten schmachtende Blicke. Neben ihnen hockten gelangweilt in die Leere ihrer Biergläser starrende Ehegatten oder Kurschatten. Sie versuchten ausdauernd, so zu tun, als würden sie von der postklimakterischen Erregung ihrer Begleiterinnen nichts bemerken. An der Wand war großes Kruzifix befestigt, an dem ein entsetzlich leidender, überaus schmerzensreicher Christus hing, der sich zu fragen schien, warum er sich ausgerechnet für diese Menschen geopfert hatte. Nicht einmal die Ohren konnte er sich in seiner Lage zuhalten, er konnte nur sein Haupt verzweifelt gegen den Oberarm pressen.

(Nächste Woche geht es weiter…)

———-

(1) Bad Birnbach, Bad Griesbach, Bad Füssing. Birnbach ist trotz neuem Golfplatz der am wenigsten mondäne Ort der drei; es wirbt für sich als das „ländliche Bad“.

(2) Es gibt, glaube ich, keine Gegend auf der Welt, wo die Dörfer und Weiler lustigere Namen besitzen. Frauentödling, Wolfsschießen, Luderbach, Hasenöd, Kindham, Wampendobel, Schnecking…

4 thoughts on “The Twilight Zone Bad Birnbach – Teil 1”

  1. Die Wahrheit, die reinste Wahrheit und nichts als die Wahrheit … Doch ich liebe es, zwischen Wäldern, Feldern und Wiesen oberhalb von Bad Birnbach zu leben, die ohne Zäune, ohne Grenzen sind. Grenzenlos und frei.

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