Wochenlese 14.10. – 20.10.2013

„Der Hans hatte gesoffen und als Märchenerzähler auch oft genug gelogen,
dafür musste er in der Jauche büßen.
Noch lange, sehr lange.“
Hans-Dieter Heun, Die Läusekönigin

Ich will es gleich zu Anfang zu sagen: Es gibt keine unparteiische, objektive Kritik.

Im Besonderen kann man keine solche von einem Schriftsteller erwarten, wie ich einer bin, besonders wenn ich ein Buch eines Freundes rezensiere. Denn für mich gelten beim Schreiben andere Regeln; jeder Satz, den ich zu Papier bringe, ist hoffnunglos subjektiv, durchtränkt von meinen festen Meinungen und Vorlieben, mancher würde sagen: Vorurteilen. Ich werde also in den Himmel loben oder in den Abgrund der Hölle verteufeln. Entweder – oder. Ein gleichgültiges, achselzuckendes Zwischendrin, ein paar lauwarme, abwägende Worte wird es von mir nicht geben. Schon durch das erste Wort dieses Artikels wurde eine eiserne Grundregel des deutschen Journalismus gebrochen, „ich“ darf es bei ernsthafter Kritik nicht geben, „ich“ ist eine Todsünde in einer Rezension, man darf höchstens als „der Kritiker“ von sich reden und dies nur in der Exposition und in der Synthese. „Den Autoren“ – also mich – langweilt das und ich behaupte einfach mal, den Leser meiner Kolumnen ebenfalls.

Deshalb, hemmungslos subjektiv, an dieser Stelle eine Lobpreisung: Ich liebe den neuen Roman von Hans-Dieter Heun und zwar in solch enger Freundschaft mit dem Schriftsteller verbunden, wie man es sich überhaupt denken lässt. Im Gegensatz zu Manchem bin ich nicht eines anderen Dichters Wolf. Aufgrund erwartbarer Zweifel bei einigen Lesern dieses Blogs will ich auch noch anmerken: Trotz meines gestrigen Artikels habe ich Heuns Buch gelesen, seine Entstehung über die Jahre verfolgt und zumindest anfänglich begleitet (Ich bin im Besitz einer frühen Fassung des Romans, einer Art „Ur-Faust“ von 2008, die damals noch den Titel „Parkbank No. 7“ trug und allein den Elmar-Juliane-Handlungsfaden enthält). Ich freue mich, den „Page-Turner“, wie meine englischsprachigen Freunde solch einen 400-Seiten-Wälzer gerne nennen, endlich vollendet vor mir liegen zu haben. Er hätte etwas besseres verdient gehabt als diese leider recht einfache, etwas lappige Ausgabe des aaVaa-Verlages im billig broschierten Taschenbuchformat; es macht den Roman dadurch aber für wirklich jeden erschwinglich. „Wenn Sie in diesem Jahr nur zwei Bücher kaufen, erwerben sie unbedingt dieses“, um mal einen Lieblingssatz meiner Kritikerkollegen zu benutzen. Von mir deshalb an dieser Stelle eine absolute Kaufempfehlung! Sie richtet sich in erster Linie an Leserinnen jeden Alters, die genug von „grauen Schatten“ und „zwielichtigen Vampiren“ haben und endlich einmal eine wirkliche Liebesgeschichte mitleiden und herzhaft lachen möchten. Ich spreche von:

läuseköniginHans-Dieter Heun
Die Läusekönigin
aaVaa Verlag, 2013

Inzwischen ist die Läusekönigin auch zu einem Schnäppchenpreis z. B. bei Beam eBooks als E-Book DRM-frei erhältlich. Wer jetzt nicht zugreift, ist selbst schuld!

Hans-Dieter Heun, der erst nach seiner vom Schicksal arg gebeutelten Karriere als Koch und Wirt zum Schreiben fand, ist das, was man im 19. Jahrhundert als „Originalgenie“ bezeichnete und er gehört zu den Autoren, die eigentlich ihr Leben lang an nur einem einzigen Roman schreiben, auch wenn sie so produktiv sind wie der auf einem niederbayerischen Einödhof lebende und arbeitende Autor, der aus diesem selbstgewählten Exil regelmäßig „Abschnitte“ seines Opus magnum veröffentlicht. Nach seinem Kochbuch, dem umfangreichen Roman „Geile Farben“ und seinen Geschichtensammlungen ist nun „Die Läusekönigin“ das vorerst letzte Glied in dieser Kette und was soll ich sagen: Heun wird immer besser.

Was für ein unglaubliches Panoptikum begegnet uns auf diesen Seiten: Ein Erzähler aus der Güllegrube, dessen boshafter Bruder, eine duldsame Parkbank, ein erfrorener Penner und seine weiße Taube, die eigentlich sein treuer Hund ist, als himmlische Boten in der äußerst delikater Mission, den schüchternen, von der bigotten Mutter unterdrückten Elmar und die forsche emanzipierte Masseuse Juliane als Liebespaar im Wortsinn zueinander finden zu lassen, der überarbeitete Pförtnerengel Rasmus und noch viele weitere skurrile Gestalten bevölkern diesen Roman und dazu kommt noch das personifizierte Böse: „Die Läusekönigin“! Wir begleiten die Figuren durch einen städtischen Park, durch die zerklüfteten Vulkanschluchten von Lanzarote, durch den Himmel und die Hölle, durch ihre Träume und ihre Vergangenheit, durch groteske Abenteuer und skurrile Begebenheiten.

Mit überschäumender Phantasie und einer überwältigenden Vielzahl an komischen, pikanten, phantastischen, brüllend lustigen, aber auch höchst romantischen und sentimentalen Szenen fabuliert sich Hans-Dieter Heun unterhaltsam seine ureigene Version der „Schneekönigin“ von Hans-Christian Andersen zusammen und gibt weitere Hinweise, warum 264 eine ganz besondere Zahl für ihn ist.

Ihm ist ein Roman gelungen, den niemand wieder aus der Hand legen wird, der ihn einmal begonnen hat und will man in der deutschen Literatur Vergleichbares finden, dann muss man weit in die Vergangenheit gehen und lange suchen. Denn „Die Läusekönigin“ ist hierzulande etwas ganz seltenes. Heun schreibt aus einer Froschperspektive, aus der er den Leser harmlos durch das ganze Werk führt. Er gönnt sich dabei eine Narrenmaske. Mit ihr demaskiert er die Gesellschaft.* „Die Läusekönigin“ ist ein Schelmenroman, wie er eigentlich nur in der englischsprachigen und  in der russischen Literatur Tradition hat, obwohl es doch in „Teutschland“ mit dem abenteuerlichen Simplizissimus von Grimmelshausen, mit Johann Karl Wezel oder meinem geliebten E.T.A. Hoffmann so gut angefangen hat. Das ist schade, denn der Literatur hierzulande würde es gut anstehen, wenn wir in 20. Jahrhundert einen John Steinbeck, einen Jaroslav Hašek oder einen Tom Robbins gehabt hätten.

Aber jetzt haben wir Hans-Dieter Heun.

*siehe auch: Pavel Mazura, Zwei Beispiele des Schelmenromans in deutscher Literatur, Brno 2010

2 thoughts on “Wochenlese 14.10. – 20.10.2013”

  1. Mit Glückschamröte in den abstehenden Ohren – oder Schamglückröte, gar Rotschamglück? – lese ich zum 264mal diese mich (fast) allzu sehr lobenden Sätze. Ich werde sie wohl auswendig lernen. O Klammer mein, allerbester Freund des Universums nebst eher kläglichem Rest, vielen Dank, herzlichen Dank, Gott sei Dank!

  2. Habe ich dir eigentlich schon meine Bankverbindung übermittelt? Auch Sachgeschenke wie Rotwein oder Pretiosen werden dankend angenommen.

    Ernsthaft: Im Einzelnen hätte ich freilich das eine oder andere zu bekritteln gehabt, aber das hätte am Gesamteindruck nichts verändert: Das Buch ist gut.

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