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Der Freitagsaufreger (XVII) – Das Lied des Weckers Teil 2

Wir wissen also: Der Mittwoch zwingt mich zu einer widernatürlichen, abartigen Handlung, die meiner ganzen Persönlichkeit, meiner Weltanschauung und meiner Ethik widerspricht. Da ich gerne mit meiner humanistischen Bildung angebe, will ich es mit den Worten meines geschätzten Kollegen Tasso sagen: „So zwingt das Leben uns, zu scheinen, ja, zu sein, wie jene, die wir kühn und stolz verachten konnten.“

Ich muss tatsächlich einmal in der Woche schon um sechs Uhr aufstehen, aber das will mir nicht gelingen…

2. Der große Weckerkampf beginnt

Mittwoch, 11. September 2013, 04:58 Uhr morgens
Tagebuch der Familie Klammer

Ruhe herrscht im Haus, alles schläft. Allein die Katze hebt einmal kurz ihren Kopf von ihrer Ruhedecke zu den Füßen von Frau Klammerle. Sie öffnet nicht einmal die Augen, schnuppert nur einmal in die Luft, lauscht den gleichmäßigen Atemzügen, die von der rechten Bettseite etwas etwas lauter rasseln. Amy Katze hat ein gutes Gefühl für Stimmungen. Sie weiß, es liegt etwas in der Luft. Trotzdem schmiegt sie sich wieder in ihre ausgestreckten Pfoten.

Der digitale Funkwecker von Frau Klammerle ist auf die Weckzeit von 05:00 Uhr eingestellt, sie hat Frühdienst. Mein Wecker, ebenfalls eines dieses digitalen Teile, die einem die Supermärkte, Drogerien und Kaffeegeschäfte billig hinterherschmeißen, soll erst eine Stunde später läuten, immer noch zu früh, aber immerhin kann ich ja noch eine ganze Stunde schlafen. Noch 2 Minuten, bis das Schicksal zuschlägt…

Frau Klammerles Uhr erreicht den Weckzeitpunkt. Anstatt enervierend zu piepsen, knackt sie nur kurz. Ein leises Geräusch, das außer der Katze, die es nicht weiter interessiert, von niemandem gehört wird. Das Ehepaar Klammerle ruht ungestört weiter. Amy Katze hat jedoch eine perfekt funktionierende innere Uhr, weshalb sie zehn Minuten später Hunger auf einen kleinen Frühstücksnack bekommt. Deshalb erhebt sie sich aus ihrer Decke, reckt und streckt sich, gähnt einmal herzhaft und trottet gemütlich hinauf zum Kopfende, wo Frau Klammerle noch immer von angenehmen und harmlosen Dingen träumt. Amys Weckmethode ist etwas weniger subtil als das knappe Klacken des kaputten Weckers: Sie schlägt ihr mit der Pfote auf die Nase und ruft auf kätzisch: „Guten Morgen!“ Frau Klammerle steht im Bett, ihr Herz pocht. Ein Blick auf ihren Wecker zeigt ihr, dass sie zu viel zu spät dran ist. Mit einem Aufschrei stürzt sie ins Bad, ohne sich weiter um die Katze zu kümmern. Diese ist nur kurz beleidigt, dann entscheidet sie, dass es ja noch einen zweiten Menschen gibt, der sie zu ihrem Fressnapf geleiten kann. Auch ich werde mit einem liebevollen Schlag auf die Nase geweckt. Und bin noch eine Stunde früher wach.

Am nächsten Tag kaufe ich Frau Klammerle einen neuen Wecker beim Billigdrogeriemarkt im Dorf. Die alte Uhr, die zwar noch atomuhrgesteuert sekundengenau die Zeit anzeigt, aber nicht mehr weckt, landet in meinem Arbeitszimmer. Einen Nachmittag beschäftige ich mich, ihr zu erklären, wie der neue Wecker funktioniert. Einstellen der Alarmzeit, Schlummertaste usw. Warum sind diese Tasten bei Funkuhren immer so klein und fummlig, hinten am Gerät angebracht und warum muss man mindestens zweimal konzentriert drücken, um den Wecker auszuschalten? Da muss Methode dahinter sein…

Mittwoch, 18. September 2013, 05:00 Uhr morgens
Tagebuch der Familie Klammer

Wieder hat Frau Klammerle Frühdienst. Und der neue Wecker funktioniert! Ein unerträglich lautes Piepsen ertönt. Die Katze flüchtet unter das Bett, auf dem Herr und Frau Klammerle mit pochenden Herzen stehen. Frau Klammerle schnappt sich das plärrende Teil.

Wecker2„Wie schaltet man das Ding aus?“ ruft sie verzweifelt und drückt alle Tasten, die auf der Rückseite sind. Tatsächlich herrscht plötzlich Ruhe. Sie stellt den Wecker zufrieden zurück aufs Nachtkästchen und trollt sich ins Bad. Nachdem sich mein Puls wieder beruhigt hat, sinke ich zurück in meine warmen Pfühle, ich darf ja noch eine Stunde schlafen. Ein wunderbarer Traum muss noch weiter geträumt werden und tatsächlich gelingt mir das seltene Kunststück, wieder in ihn hinein zu finden und weiter ins Wunderland zu fliegen. Da geht Frau Klammerles Wecker erneut los. Ich schrecke hoch, schnappe mir das Teil und drücke alle Tasten, die auf der Rückseite sind. Mir gelingt es nicht, die richtige zu finden, die den Lärm stoppt. Also entferne ich die Batterien. Ruhe. Aber jetzt sind Schlaf und wunderbarer Traum endgültig geflohen und ich liege eine Stunde wach, bis meine Uhr sich pflichtbewusst meldet.

Am nächsten Tag landet der Wecker, der zwar funktioniert, aber für uns viel zu kompliziert ist, in einer Schublade im Arbeitszimmer, wo er weiterhin ab fünf Uhr morgens zehn Minuten lang vor sich hin plärrt, aber niemanden mehr stört.

Mittwoch, 25. September 2013, 05:00 Uhr morgens
Tagebuch der Familie Klammer

„Nein, du kaufst keinen neuen Wecker. Ich habe eine bessere Idee“, erklärte mir gestern meine Frau. Sie hat eben mit der Post ihr neues Smartphone erhalten und spielt verliebt mit dem komplexen Gerät, dessen Funktionen sie niemals alle verstehen wird. Aber das mit der Weckfunktion hat sie sich genauestens vom technikaffinen Sohn Nr. 2 erklären und vorführen lassen. Als angehender Pädagoge kennt er die besten Lernmethoden und hat es sie auch einmal selbst ausprobieren lassen. Sie stellt mit ihm gemeinsam die Weckzeit ein, sucht sich einen besonders ätzenden Weckton aus und schlummert nun gelassen ihrem Frühdienst entgegen.

Das Smartphone ist pünktlich. Die Katze flüchtet unters Bett, Herr und Frau Klammer stehen mit pochendem Herzschlag in ihrem Bett. Freilich lässt sich auch dieses Gerät nicht so einfach ausschalten, der Touchscreen mit seinen winzigen Icons ist für frühmorgendlich tastende bettwarme Finger zu klein und irgendwie hat Frau Klammerle auch wieder vergessen, wie das Ausschalten des Alarms funktioniert. Gestern ging es doch noch so einfach! Doch dann schweigt das Teil plötzlich. Sie nimmt vorsorglich ihr Telefon mit hinaus, schließt fürsorglich die Schlafzimmertür und legt es in den Gang, stellt sich erst einmal zur Beruhigung unter die Dusche. Ich sinke zurück in meine Pfühle, schlafe wieder ein. Von draußen dringt ein nerviges Piepsen an mein Ohr, langsam lauter werdend. Ich kann es nicht mehr ignorieren: Offensichtlich ist das eine Funktion der „Weck-App“. Verzweifelt renne ich also hinaus in den Gang, wo ich blind nach dem sich noch immer steigernden Lärm taste. Dann halte ich endlich dieses Gerät in der Hand und kann nicht einmal den Bildschirm aktivieren. Die Katze schmeichelt klagend um meine Beine, überrrascht, dass ich schon jetzt aufgestanden bin, um sie zu füttern. Frau Klammerle hört nichts. Sie duscht ja hinter verschlossener Tür und hat Shampoo in den Ohren. Endlich tapst Sohn Nr. 2 von seinem Dachjuchhe herunter, entreißt mir das Smartphone und schaltet es wortlos ab. Mit strafendem Blick drückt er mir das Gerät wieder in die Hand. Dann stapft spürbar angefressen wieder hoch in sein Reich.

Und wieder bin ich eine Stunde vor meinem Aufstehen hellwach. Meine Frau singt unter der Dusche.

Der Kampf ist noch lange nicht zu Ende. In der nächsten Woche geht es weiter.

Diedorf

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