Was machst du heute?
Falls ich sie finde, sehe ich mir Kunst in Diedorf an.
Diedorf? Kunst? Kunst im Diedorf. Verzeih mir, aber ist das nicht wie Eulen in Abdera, wie Freundlichkeit in München? Ist das nicht wie Ehrlichkeit in der Politik, ich weiß nicht: wie Schnee in der Wüste? Diedorf. Wo liegt das eigentlich? Auf den Wegweisern ist kaum zu entdecken.
Ich habe auch nicht behauptet, dass es einfach wird. Kunst ist niemals einfach zu finden, sie meidet das Offensichtliche, egal ob in Florenz, in Köln oder eben in Diedorf. Dort, wo du mit fünfzig Leuten staunend ein Gemälde begaffst, zuerst mit einem Reisebus vor die Museumstür gefahren wurdest, eine Stunde angestanden, gelitten, schließlich aber eingelassen, teuer bezahlt und dich endlich durch die Kunstbeflissenen bis vor zur Absperrung gedrängt hast, magst du Ehrfurcht vor deiner Beharrlichkeit, Hunger oder meist eine volle Blase verspüren, Kunst allerdings – Kunst findest du dort nicht. Sie war vielleicht mal dort, aber jetzt musst du sie anderswo suchen, an überraschenden Orten. Es wird oft behauptet, Kunst käme von Können. Das ist nur die halbe Wahrheit und damit falsch. Kunst kommt von finden können.
Aber…, verzeih mir, Diedorf?
Du hast recht. Da ist kein Maler, der mit einem genialen Pinselstrich die grünen, waldreichen Hügel des Dorfes auf die Leinwand geworfen hat, dazwischen den nadelspitzen, trotzig-angeberischen Kirchturm, wie ein Bolzen in eine Wunde hineingeschlagen und sich einem gestreckten Mittelfinger gleich drohend gegen das schmerzhaft transparente Himmelsblau reckt.
Kein Maler.
Da ist kein Homer, der wortgewaltig mit einem Epos die Toten in der frühmittelalterlichen Tuffsteingrotte besang oder die Marienerscheinung unten am Sportplatz, der in bitteren Worten die Eingemeindungen, Flurbereinigungen, den Wildwuchs der Eigenheim-Monokulturen, vernichtende Überschwemmungen, die fehlende Ortsumgehung und die überfahrenen Störche beklagt. Da ist kein Dichter, der in der schwimmenden Mittagsglut mit brennendem Herzen durch die leeren Straßen von Diedorf gestriffen ist und nächtens tränenreich um Diedorf gelitten hat; dem dann doch die Fahrkarte nach Augsburg das Beste am Dorfe schien.
Kein Homer, kein Dichter.
Da ist kein Musiker, der dem Jubeln der Kinder, dem stotternden Rattern der Traktoren, dem Krähen und Scharren des Hühnervolkes, dem Rauschen des ICEs, den scheppernden Fehlzündungen der Mopeds und den satten Tönen der Kirchenglocke Noten abgerungen und in eine bislang unerhörte, ungehörte Form gegossen hat.
Kein Musiker.
Und doch ist Diedorf voller Kunst. Nicht nur heute, sondern alle Tage. Du musst sie nur finden. Nimm dir Zeit. Mach deine Augen auf und sieh. Öffne deine Ohren, höre.
Anlässlich der Diedorfer Kulturtage vom 02. bis zum 13. Oktober 2013. Nähere Informationen gibt es hier. Und weil bestimmt der eine oder andere Bewohner meines Dorfes schimpfen wird, weil ich es nicht erwähnte: Es gibt in Diedorf sogar eine Buchhandlung (gleich neben Metzger und Friseur) und das bedeutendste Maskenmuseum Europas.