Nikolaus Klammer Über den Tellerrand,Gastartikel,Literatur Die Vision eines x-beliebigen Barmanns in Rom

Die Vision eines x-beliebigen Barmanns in Rom

Mein lieber Freund Hans-Dieter Heun hat sich mal seine Gedanken über das Thema meines Blogs gemacht. ‚So saufe du nun auch, daß du taumelst‘. Dabei entstand die folgende gelungene Kurzgeschichte, die er mir dankenswerterweise überließ und die ich heute als einen Gastbeitrag präsentiere. Sie möge munden.
HD wäre allerdings nicht HD, wenn er dabei nicht einen Hintergedanken hätte.
Er hat ein neues Buch veröffentlicht:

läuseköniginHans-Dieter Heun
Die Läusekönigin

Dies ist die tragikomische Geschichte des ehemaligen Zirkusartists Ludwig, der, zum Penner verkommen, in einer kalten Dezembernacht mit seinem Hund auf der Parkbank Nummer 7 erfriert. Engel tragen beide, fest aneinander gefroren, zur Himmelspforte, aber Hunde, selbst aufgetaute, sind im Paradies strikt verboten. Ludwig will jedoch auf seinen treuen Kumpel keinesfalls verzichten, schließlich findet der verantwortliche Aufnahmeengel eine vorläufige Lösung. Ludwig wird vom Himmel aufgetragen, zurück auf Bank Nummer 7 für das Liebespaar Juliane, selbstbewusste Physiotherapeutin, und Elmar, schüchtern unbeholfener Kartograph, ein im wahrsten Sinne des Wortes befriedigendes Ende herbeizuführen. Doch da lauert sie schon, die Läusekönigin.

Wer den Barmann mochte, wird nicht unglücklich werden, wenn er Die Läusekönigin für ein geringes Entgeld z. B. hier oder beim Buchhändler seines Vertrauens erwirbt, ein-, zweimal liest und sie begeistert weiterschenkt. Im Gegenteil, es könnte sein, dass er dabei seinem neuen Lieblingsautor begegnet. Aber jetzt endlich:

Die Vision eines x-beliebigen Barmanns in Rom

Eigentlich war der x-beliebige Barmann gar kein richtiger, gelernter Barmann – einer mit Zertifikat einer internationalen oder auch nur nationalen italienischen Barmixervereinigung. Nein, er war nur ein x-beliebiger Barmann, weil seinen Eltern, die sich möglicherweise bereits in Sizilien auf einem Weingut zur Ruhe gesetzt hatten und von ihm vielleicht eine Art monatliche Pacht überwiesen bekamen, diese Bar gehörte, mit welcher der X-Beliebige jene Pacht erwirtschaftete. Die Eltern also gleichfalls schon als Barmann und Barfrau tätig gewesen sind, und es folglich auch anzunehmen ist, dass die Nachkommen des jetzigen x-beliebigen Barmanns weitere Barmänner und Barfrauen werden würden, da die Bar über die monatliche Pacht hinaus ziemlich einträglich … da sie nämlich mit einer wahrhaft guten Lage gesegnet war.

Segen in Rom ist jedoch nichts Unnormales, und es gab oder gibt bestimmt viele einträgliche Bars in der und um die Mitte Roms herum oder in der Nähe des Vatikan-Staates. Genauer vermag sie, jene Bar, der Autor jedoch nicht zu beschreiben, denn der Schreiberling war noch nie in Rom – hat es auch nicht im Sinn –, er stellt sich die Kneipe nur einfach so vor, und das ist für den weiteren Verlauf, nebenbei gesagt, auch völlig wurscht, denn die Grundvoraussetzung dieser Geschichte über eine einträgliche Bar würde schon stimmen, und kann man auch ohne weiteres so durchgehen lassen, denn in Rom gibt es auf jeden Fall sehr viele Pilger.

Schriftstellerische Annahme ist ebenfalls, dass der x-beliebige Barmann sein von den Eltern erlerntes Fach ziemlich gut beherrschte: Tradition, eigenes Erfahren, eine gute Beobachtungsgabe und Arbeitseifer, gepaart mit vollendeter Höflichkeit, wenn auch nicht mit Zertifikat. Ach ja, darüber hinaus besaß er noch ausnehmend schöne braune Augen.

Die grün-weiß-roten Plastikschnüre – Lokalkolorit, Heimatverbundenheit macht sich immer gut –, die Fliegen abhalten oder einbehalten sollten (vergeblich, ein die Inzucht verhindernder Austausch war stets in regem Gange), teilten sich, und ein Schwarm Gäste (nicht nur Fliegen) betrat das Lokal, die Bar.

Nein, betraten ist nicht die richtige Beschreibung, die neuen Gäste stolperten vielmehr über die etwas zu hoch angebrachte, mit Terpentin getränkte hölzerne Eingangsstufe – gemeine Fußfalle –, ihre Gästehände, um einen drohenden Sturz abzuwenden, in saukomischer Gestik nach vorne gestreckt. Der x-beliebige Barmann grinste leicht spöttisch, wie er schon tausendmal zuvor – vielleicht mehr, vielleicht auch weniger? – mit seinen schönen braunen Augen dermaßen Stolpern belächelt hatte. Dennoch, es stolperten Gäste, und die brachten Geld.

Bayern, die gern gesehenen Gäste stammten aus Niederbayern. Da war sich der Barmann ziemlich sicher, hatte er doch in seinen unruhigen Jugendjahren als Schankkellner in einer x-beliebigen Pizzeria nahe Bad Griesbach gearbeitet und dabei jene Urlaute der bayrischen Bevölkerung bestens kennen gelernt, die nun seine Eingangsstufe lobten: Kruzitürk´n, Stufn ausländische, Scheißglumb vareggds, Kreizkruzifixhalleluja, den Hois kunnd ma sich brecha, Sacklzement! Und er hörte auch die milden, besonnenen Einwände der die Männer begleitenden Damen: Schorsch, Sepp, gebd´s a Ruah! Mia san in Rom, und unsa Heilige Vodda sigd ois, dea Heilige Vodda head ois und dea Heilige Vodda riachd ois. Oiso, seids staad!

Weißbier, der x-beliebige Barmann würde sehr viel Weißbier verkaufen, das in Rom schon seit dem frühen Mittelalter bekannt. Ein gutes Geschäft, soviel stand fest. Nachdem sich die niederbayrischen Augen seiner neuen, sehr gern gesehenen Kunden an das Halbdunkel der Familienbar erst einmal gewöhnt hatten, setzte sich die Gruppe ruhig und artig an die Tische, und zwar ohne erst groß – wie etwa Besucher aus Norddeutschland – die Tischplatten und den roten Kunstlederüberzug der Sitzbänke mittels Tempotaschentüchern auf Reinlichkeit zu überprüfen. Die Gäste starrten und winkten auch nicht fordernd in Richtung Theke, sondern warteten geduldig, bis der X-Beliebige sich von alleine in Bewegung setzte, um sie zu versorgen – Bierruhe der Bayern, an grantige Bedienungen gewohnt. Der Barmann, sich der feschen niederbayrischen Maderln erinnernd, liebte sie schon jetzt, und vielleicht würde er ihnen auch zum Weißbier in der Musikbox ein Potpourri der drei Tenöre drücken … später, nach einigen Kästen, sich gar bitten lassen, mit seiner strahlenden Stimme doch selbst zu singen. Sein „Ave Maria“ war weithin berühmt.

Chef!“, der x-beliebige Barmann war entzückt. Sie sagten „Chef“ – sein Herz flog nach Niederbayern – und nicht einfach „Mario oder „Pepe“ oder, viel schlimmer, ein fingergeschnipstes „Hey Macaroni!“.

Chef, wos kriag´n mia denn zum dringa?“ O Mama mia – die im Übrigen immer noch in Sizilien weilte -, er verstand ihre Sprache und darüber hinaus durfte er sie auch noch beraten. Da liebte der Barmann seine Gäste so sehr, dass er beinahe versucht war, die erste Runde des freudig bestellten Weißbiers auszugeben. Aber nur beinahe.

Er zeigte ihnen seine Liebe anders, war kein x-beliebiger Barmann mehr. Oh nein, er würde glänzen unter Seinesgleichen. Erst einmal das Woazn gekonnt eingeschenkt: Die durch italienischen Menschen und italienischen Fliegen höchst wahrscheinlich verunreinigte Bierflasche des original importierten Wolferstetters nicht einfach in den weißen Bierschaum gestülpt, nein, wahrhaft nicht, sondern den Flaschenhals im ebenfalls original Wolferstetter Weißbierglas leicht schräg gehalten und über dem aufsteigendem Schaum bedächtig nach oben gezogen. Perfekt, Glas für Glas, und seine Bayern würdigten das: Er war ab sofort ein besonderer Barmann.

Applaus von dankbaren Händen, bewunderndes Rülpsen aus dankbaren Kehlen. Nur unterbrochen von schmeichelnden Bemerkungen der immer schöner werdenden Damenwelt – ein kleiner Grappa zwischen der vielen Arbeit durfte doch wohl sein –, die eigentlich nicht für seine klassisch geformten Ohren bestimmt, die er aber dennoch als vertraute Laute verstand: „ Hoosd du dem Wirt seine Augn gseng? I sog dia wos, wenn mia ned in Rom zum Betn waradn, war dea glad a Sünd werd.“ Er würde ihnen die Gebäckstangen schenken.

Es wurde sehr lustig, die drei Tenöre in der Musikbox sangen unter vollem Dampf. Die Bayern und der Barmann wurden Freunde, fast Geliebte. Irgendwann, nach höflicher Anfrage, tauchten Tonflaschen voll mit Bärwurz auf. Aus dem Reisebus geholt und in der Bar getrunken, dem besonderen Barmann, der längst nicht mehr auf schnöden Gewinn fixiert, völlig Salami. Sein sehr gerne gespendeter Liebesdienst.

A echda Bärwurz und a Wolferstetter Woazn, unübertroffenen Brüder im Duft. Der Bärwurz – Schnaps und ebenso Geist einer Zauberwurzel, nächtlich bei Neumond vom Grab einer eisernen Jungfrau gepflückt –, verbreitete alsbald seinen unnachahmlichen Aasgeruch in des Barmanns Bar, unterstützt von zahlreichen Wolferstetter Bäuerchen hinter vornehm vorgehaltener Hand. Sie gingen ihm über, die schönen braunen Augen.

A Stamperl Bärwurz, nix fia schwache Leit, owa guad fia a gleibige Seel. Mogsd a oan, Giuseppe?“ Sie waren beim Du, und Giuseppe mochte einen.

Explosion des unerwarteten, nie gedachten Geschmacks. Madonna mia! Das überraschte Auge – und besonders das braune Auge, Organ des Gesichtsinnes zur Bildwahrnehmung der Außenwelt, aber dazu auch Spiegel, welcher der starken Beeinflussung von Seele und Körper unterworfen ist – füllte sich, obgleich an Grappa gewöhnt, auf der Stelle mit bitteren Tränen. Hoch drängende Übelkeit ließ ihn, den besonderen Barmann gleichzeitig würgen. Ein den gequälten Magen beruhigendes Bäuerchen wäre nun tatsächlich von dringenden Nöten gewesen.

Guad, wos? Brauchd vielleichd a bisserl a G´wöhnung, owa nacha haud ea nei. Oiso, wo samma? Und mogsd no oan?”

Er mochte noch weitere, schluckte im wahrsten Sinne des Wortes begeistert und durchlebte alsbald eine von magischen Kräften geschickte Vision:

 Der Weg war weit, die Straße breit, am Ende saß Unfehlbarkeit. Der Heilige Stuhl … einen Moment lieber Leser bitte, die Frage, welche nur so nebenbei auch vom Autor dieser geistvollen Geschichte bedacht wurde, der, wie bereits erwähnt, noch nie in Rom zugegen, stellt sich dennoch: Kann ein simples oder ruhig auch kostbares Möbelstück denn heilig sein? Gewisslich stünde einem heiligem Hintern ein heiliger Stuhl gut zu Gesicht, aber … das war exzellent formuliert, ein Stuhl, der einem Hintern gut zu Gesicht steht … ins Gesicht sieht … wie geht es weiter?

Der Weg war weit, die Kirchen breit, am Ende saß Unfehlbarkeit. Der heilige Stuhl umringt von Pracht, rote und lila Figuren mit Macht, vom Spiritus beschienen, Ungläubige zu besühnen, sich den Himmel zu verdienen. Urbi et Orbi und Amen! Ein Feuer des Glaubens entfacht.

Und des besonderen Barmannes Vision setzte sich fort: In übel riechende Wolken aus Wurzeldunst gehüllt, zogen die bayrischen Pilger im Büßergewand mit ihren Fahnen Hand in Hand, ihr Scherflein zu bringen. Denn die Münze muss klingen, erst dann darf man singen. Urbi et Orbi und Amen!

In seiner Geistschau, religiöser Verzückung nahe, erkannte der Barmann mit nunmehr getrübten braunen Augen die Gaben, die seine Gäste, die Pilger aus Niederbayern, stolz zu dem Thron der höchsten Heiligkeit schleppten. Auch Pater Sacrosanctissimus schienen sie bekannt, und er lächelte froh in Erwartung der Mitbringsel aus Urbi et Orbi. Die Pilger überreichten die Geschenke, Bärwurz, Weizenbier und als Krönung noch ein paar frische Radi. Papa, voll heiliger Freude, kostete die Kostbarkeiten, spürte ihre Wirkung und rief seine frommen Schäfchen auf den Balkon. Ein Bild wie von bayrischen Engeln gemalt: Seine Heiligkeit ganz vorne, die Hände gebreitet zum Segen. In zweiter Reihe die Bajuwaren, ihre Münder bereis erwartungsvoll geöffnet.

Eins, zwei, drei und gemeinsam: „Uuaaahhrrbi et Ooaaahhhrrrbi!“ schallte der Rülpser seinen starken Hauch über Rom und tat seinen Segen. Reihenweise fielen die Römer in die Knie und dienerten eifrig dem Opfer entgegen. „Heiliga Bärwurz, zäfixhalleluja no amoi!“ Spiritus Sanctus und vor allem sein Geruch drängten mit göttlicher Macht ins strahlende Licht.

Das reichte ihm, restlos, ab morgen würde der x-beliebige Barmann nur noch Weihwasser trinken. Er schwor es zu allen Heiligen, sie würden in erhören. Und dann könnten seine schönen braunen Augen wohl bald wieder das Geschehen in und um Rom in klareren Farben sehen. Aber erst morgen! Denn heute war heute, und die Bayern gaben noch lange nicht Ruh: „Oana gehd noch, oana gehd oiwei …“

2 thoughts on “Die Vision eines x-beliebigen Barmanns in Rom”

  1. Ich bedanke mich recht artig und gänzlich ohne Hintergedanken bei meinem besten Freund Nikolaus für die Zurschaustellung des X-Beliebigen auf diesem, seinem äußerst lobenswerten Blogg. Reklame für ‚Die Läusekönigin‘ will ich hier nun nicht weiter machen, denn es besteht mein fröhlicher Wunsch: Mögen die Läuse über euch kommen!

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