Nikolaus Klammer Alltägliches,Aufreger,Leben,Literatur Der Freitagsaufreger (XIV) – Die Überfülle

Der Freitagsaufreger (XIV) – Die Überfülle

Worüber ärgere ich mich eigentlich nicht?

Es gab in den letzten Monaten den einen oder anderen Donnerstag, an dem ich abends in meinem Dichterwinkel bei einem Glas Rotwein mit gespitztem Bleistift meinem grünes Notizbuch in der Hand hielt und mit zusammengekniffenen Augen verzweifelt überlegte, worüber ich mich am anderen Tag in meinem Blog aufregen sollte. Das Wetter war gut. Ich hatte Urlaub, der Roman schritt voran. Obwohl der Kopf rauchte und die Gedanken eng um einen beginnenden Kopfschmerz schwirrten*, fiel mir absolut überhaupt nichts ein…

In solchen Fällen erbarmte sich dann Frau Klammerle der gequälten Dichterseele:

„Du findest doch seit zwei Wochen deine Brille nicht. Das wäre ein gutes Thema.“

“Weiß nicht, interessiert doch keinen… Und die Brille taucht schon wieder auf. Das Haus verliert nichts.“

„Aber du! Deine Vergesslichkeit! Mit ihr könnte man Bücher füllen. Weißt du noch, wie du mit zwei verschiedenen Schuhen spazieren gegangen bist und ich es erst nach einer halben Stunde bemerkte? Wohl bemerkt: Ich habe es entdeckt und nicht du! Du hattest einen Turnschuh rechts und einen schwarzen Lederschuh links am Fuß. Und du hast es nicht gespürt oder gesehen!“

 „Es war dunkel im Hausgang und hektisch und die Schuhe fühlten sich am Fuß absolut gleich an.“

„Trotzdem, ich mache mir langsam Sorgen. Und deine Wortfindungsprobleme in der letzten Zeit. Du solltest dich wirklich auf Alzheimer testen lassen. Jetzt kann man noch etwas tun.“

„Als die, na… die Dings…, die Geschichte mit den Schuhen passierte, war ich noch keine 30! Die muss man mir nicht alle zwei Wochen aufs Butterbrot schmieren! Und Wortfindungsprobleme habe ich immer, wenn ich mit dir diskutiere.“

„Schnickschnack!“

Es gelingt also zusammenfassend niemandem besser als meiner entzückenden, liebreizenden und blitzgescheiten Frau, mich sanft auf gewisse Themen zu stoßen. Mit kleinen launigen Bemerkungen („Räumst du dein Arbeitszimmer auf? Ich habe dir schon mal den Staubsauger vor den Schreibtisch gelegt…“ – „Du musst endlich die Regenrinne reparieren. Das hast du schon vor zwei Monaten versprochen.“) versetzt sie mich dann auf ihre ganz persönliche und unnachahmliche Art in die nötige Stimmung, die Wochenkolumne zu schreiben. Deshalb spreche ich ihr, die mir an dieser Stelle schon so oft Muse und Anregung war, hiermit meine tiefempfundene Dankbarkeit aus.

Heute allerdings ist ihre Unterstützung nicht von Nöten. Mag sein, dass es am beginnenden Herbst liegt (siehe gestern): Ich könnte mich gerade über alles und jeden aufregen. Ich bin ein Dampfkochtopf auf zwei Beinen.

Mich ärgert der Ausgang der Bayernwahl, dass ich immer dann tanken muss, wenn der Diesel am teuersten ist, ich inzwischen fünf verschiedene Müllbehälter mein eigen nenne und einen speziellen Kalender führe, um noch die Übersicht zu behalten, wann ich welchen vor die Tür stelle („Hast du an die braune Biomülltonne gedacht?“). Ich meckere über die Musikauswahl im Radio und den Sch—–, der im Fernsehen kommt, dass mir dauernd Haare aus der Nase und den Ohren wachsen, dass mein Computer altersmüde wird und regelmäßig dann abstürzt, wenn ich längere Zeit nicht gespeichert habe, dass gerade die Blogartikel, in die ich am meisten Zeit und Arbeit stecke, keine Beachtung finden. Ich hasse es, wieder im Dunkeln aufstehen zu müssen, dass der Urlaub vorbei ist, irgend jemand immer meinen Lieblingsjoghurt aus dem Kühlschrank stibitzt und mein Duschmittel leert, aber die leere Flasche stehen lässt. Ich rege mich auf, weil schon wieder an meinem Auto das rechte Scheinwerferlicht defekt ist**, dass durch den neuen Zusteller „Die Zeit“ immer erst am Freitag im Briefkasten landet und die Magazine der Zeit und der SZ ständig das gleiche Heftthema haben. Überhaupt, wenn ich schon dabei sind: Dieser Martenstein und dieser Hacke: Die klauen mir dauernd meine Einfälle! Wahrscheinlich lesen sie heimlich meinen Blog. Ich könnte verzweifeln, weil ich schon wieder Löcher in den neuen Socken habe und – Zefix, noch mal! – meine Brille noch immer verschollen ist!

BlaseAber Ruhe, Ruhe, Klammerle, die eigene innere Mitte finden und sich auf sie konzentrieren! Ommmh! Du wirst dich jetzt nicht aufregen! Du willst dir kein Magengeschwür herbeifluchen.

Die Auswahl ist groß, meine Liste gerade war nur ein kleines Brainstorming. Ich bin ein Profi. Jetzt muss ich mich nur noch entscheiden, worüber ich mich am meisten aufrege und Material sammeln, damit ich es schaffe, über dieses Thema 800 Wörter zu tippen (Immer in der Hoffnung, der PC stürzt nicht ab). Und dann sollte das Ganze auch noch mit dem nötigen Humor und mit Selbstironie geschrieben sein, schließlich jammere ich ja stets auf hohem Niveau. Der Leser sollte schon merken, dass ich eigentlich lässig über diesen kleinen Missgeschicken und Ärgernissen stehe und milde auf sie herabsehe. Es gibt in der Welt wirklich zur Genüge Sachen, über die sich aufzuregen sich wirklich lohnt.
Auf geh’s. Bis mittag will ich fertig sein.

Ah, dieser dumme Freitagsaufreger! Wenn ich ehrlich bin, regt mich der gerade am meisten auf!

–-

* Vielleicht sollte ich auch nicht immer so billigen Rotwein konsumieren.

** Der TÜV rügte letzthin in seiner Mängelliste: „Das Licht wurde nicht sachgemäß eingebaut.“ Das ist behoben, aber jetzt ist es kaputt…

2 thoughts on “Der Freitagsaufreger (XIV) – Die Überfülle”

  1. die ganz normalen unumgänglichen Aufreger, die das Leben so für uns bereithält.
    Billiger Rotwein ist nicht zu empfehlen oder zu empfehlen, kommt darauf an, welches Ergebnis erzielt werden soll. Es steigt auf jeden Fall der Adrenalinspiegel, da lässt es sich besser und leichter aufregen.

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