Nikolaus Klammer Alltägliches,Aufreger,Der Autor,Essen,Leben,Mein Dorf Der Freitagsaufreger (XIII) – Vergebliche Mühen

Der Freitagsaufreger (XIII) – Vergebliche Mühen

Tand. Tand. Die Werke von Menschenhand.

Im März 1983 fanden vorgezogene Bundestagswahlen statt, weil im Vorjahr der damalige Kanzler Helmut Schmidt an einem Misstrauensvotum gescheitert war. Die sozialliberale Koalition war zerbrochen und das Wort von den „Wändehälsen“ machte die Runde. Wie jeder weiß, wurde in dieser Wahl Helmut Kohl als Kanzler bestätigt und regierte wie festgemauert in der Erden, weitere 16 Jahre mussten’s werden. Die „Grünen“ zogen zum ersten Mal ins Parlament ein.

Ich war gerade volljährig geworden und hatte zum ersten Mal einen Wahlzettel mit der Post zugeschickt bekommen. Ich brannte im Inneren auf den Wahlsonntag, mich erwärmte das Feuer der Demokratie. Ich war stolz, dass ich meine bedeutende Stimme erheben und vergeben durfte. Ich tat meine staatsbürgerliche Pflicht. Ich war wichtig!

Kurz nach Öffnung des Wahllokals, das in einem Gymnasium eingerichtet war, fand ich mich bereits als aufrechter Staatsbürger mit einem nagelneuen Ausweis und dem Wahlzettel in der zitternden Hand ein. Wie groß war die Freude, als auf der Liste tatsächlich noch überhalb der Namen meiner Eltern der meine auftauchte. Jetzt war ich endgültig im Erwachsenenleben angekommen; das war viel besser, als nach zehn Uhr noch im Annapam hocken zu dürfen und mit den Kumpels über Politik, Literatur und Frauen zu diskutieren. Ich war aufgeregt wegen der Dinge, die in der Wahlkabine – drei wacklig nebeneinander aufgestellte und notdürftig mit Paketklebeband verbundene Bretter auf einer Schulbank – passieren würden, denn meine Eltern hatten mich nie mit zur Wahl genommen: Ihre Wahlentscheidungen gingen mich nichts an, obwohl es offensichtlich war, dass sie immer die Bayerische Mehrheitspartei wählten.

Obgleich ich schon vorher wusste, wen ich wählen würde, ließ ich mir selbstverständlich alle Zeit der Welt, las auf jeder Liste alle Namen und Berufe. Mir fiel auf, dass man den Rotstift mit einer so kurzen Schnur an dem Wackelbrett befestigt hatte, dass es kompiziert bis unmöglich war, mit ihm ein Kreuzchen in den abgelegeneren Teilen der riesigen Wahlzettels zu machen. Aber da in Bayern traditionell zwei Drittel die CSU wählen, war das wahrscheinlich nur eine gutgemeinte Suchhilfe. Ich war gut informiert, wusste um den Unterschied zwischen Erst- und Zweitstimme und welche die wichtigere von beiden war. Mich konnten die Liberalen nicht reinlegen. Und ich war 18, trug einen „Stoppt die Atomindustrie“-Button an den bundeswehrgrünen Parka geheftet, war selbstredend für „Petting statt Pershing“* und hatte mich in Wackersdorf von der Polizei nassspritzen lassen. Wie heißt es so schön: „Wer 18 ist und nicht links wählt, hat kein Herz“. wahl

Nachdem ich meine Wahlzettel in die Urne gestopft hatte, ging ich erhobenen Hauptes aus dem umfunktionierten Klassenzimmer. In diesem Moment kamen mir 30 Nonnen und zwei Kapläne als deren Aufpasser entgegen. Sie waren nach der morgendlichen Frühmessen-Indoktrination  mit einem Kleinbus vom nahen Kloster zum Wählen herübertransportiert worden. In diesem Moment wurde mir zum ersten Mal in meinem Leben bewusst, wie vergeblich die meisten Dinge sind, die ich unternehme. Ich könnte sie gleich lassen: Meine Stimme hatte ich völlig umsonst abgegeben, gegen diese massiv hereinschwappende schwarze Flut war ich machtlos. Da konnte ich wählen, wen ich wollte: Es war belanglos. Meine Stimme wurde einfach ertränkt.

Ein weiteres Beispiel: Vor etwa zehn Jahren habe ich 25 Kilo abgespeckt. Mich hatte eine frühe, aber heftige Form der midlife-crisis erwischt und das massive Abnehmen war eines meiner Medikamente gegen diese Krankheit. Es funktionierte: Ich war plötzlich, für mich selbst überraschend, rank und schlank – ranker und schlanker denn je – fühlte mich jung und sportlich, attraktiv und erfolgreich. Ein gutes Gefühl, aber es hielt nicht lange an. Gegen die massiv hereinschwappende fette Flut war ich machtlos. Der Dominoeffekt wirkte und es ging wieder in die Breite. Ich habe mich die 25 Kilo nie mehr hochgefressen; dies gelingt aber nur, indem ich in jedem Jahr über Wochen hinweg streng faste. Und je häufiger ich Diät halte, um so schwieriger ist es, wieder auf ein normales Gewicht herabzufinden und um so schneller ist das Kampfgewicht wieder erreicht. Rauf und runter, eine ewige Tretmühle, vergebliche Mühen…

Aber ich habe auch meinen Dickschädel: Ich werde am Sonntag (und am Sonntag drauf) gemeinsam mit meinem Sohn Nr. 2** zur Wahl gehen. Ich gebe meine kleine, unbedeutende Stimme, die ich als Demokrat eigentlich besser behalten sollte, jener Partei, die ich momentan in Umkehrung der Leibnizschen Theodizee für die „am wenigsten Schlechte aller möglichen Parteien“ halte.*** Und dann gehe ich auf den Diedorfer Herbstmarkt, esse dort den fettesten und größten Steckerlfisch und dazu trinke ich ein dunkles Bier, nehme mir eine Flasche zu süßen Federweißen mit und abends gibt es noch Zwiebelkuchen.

Vor Weihnachten werde ich wieder etwas abnehmen müssen..

* Die jüngeren unter meinen Lesern müssen jetzt ganz vorsichtig googlen und sollten die Bildersuche meiden. Das wird mir wieder einige Irrläufer auf meinem Blog einbringen (siehe vorgestern).

** Es sind übrigens seine Augen, die den Leser über den Freitagsaufregern wutentbrannt anstarren. Ich muss mich etwa zwei- bis dreimal am Tag diesem Blick aussetzen. Er ist endlich volljährig geworden und hat zum ersten Mal einen Wahlzettel mit der Post zugeschickt bekommen. Er brennt im Inneren auf den Wahlsonntag, ihn erwärmt das Feuer der Demokratie. Er ist stolz, dass er seine bedeutende Stimme erheben und vergeben darf. Er tut seine staatsbürgerliche Pflicht. Er ist wichtig! Das ist viel besser, als nach zwölf Uhr noch in der „Rockfabrik“ hocken zu dürfen und mit den Kumpels die Musik überschreiend über Politik und Frauen zu diskutieren.

*** Ich weiß, wie der Spruch weiter geht: „Wer mit 50 noch links wählt, hat kein Gehirn.“ Aber im Herzen bin ich noch immer 18!

3 thoughts on “Der Freitagsaufreger (XIII) – Vergebliche Mühen”

  1. … und wählst den Mann mit dem Stinkefinger? Stell Dir nur mal vor, ein Alien besucht die Erde, hat in einer Diskussion mit Steinbrück die besseren Argumente und Problempeer ziegt ihm diesen Finger. Ende der Menscheit durch einen Sozialdemokraten.

  2. Was für eine schöne Vorstellung: Steinbrück „ziegt“ also seinen Mittelfinger. (Übrigens ein nettes Foto. Warum regt sich eigentlich jeder auf? Ich finde es jedenfalls lustiger als die Merkelraute, die in Spanien eine derbe Beleidigung sein soll.) Das Alien ist also beleidigt? Hat es überhaupt Finger? Ist diese Geste im ganzen All verbreitet? Vielleicht ist es für das Alien ja auch eine freundliche Aufforderung, sich mit ihm fortzupflanzen. Das Alien desintegriert mit seiner Phaserkanone die Menschheit! Klasse, klatuu barada nikto. (Nun google mal schön.)
    Ich glaube aber eher, das würde passieren, wenn der Seehofer die Maut für das UFO eintreiben will oder der Brüderle es auf einen Umtrunk einlädt…
    Und wo habe ich geschrieben, dass ich SPD-Wähler sei?

  3. ich bin vor Zustimmung zu deinem Artikel ganz aufgeregt!

    An den vorschreibenden Kommentator gewandt:
    Deutschland regt sich über einen Stinkefinger auf, dass ich nicht lache! Wie viele Stinkefinger werden zur Zeit in Deutschland wohl gerade in Höhe gerecht, das ist LÄCHERLICH und das ist Deutschland. Gibt es keinen anderen Aufreger, dann schlaft schön weiter und lasst euch von den Medien und den Regierenden (Arm in Arm mit dir …) schön einlullen.

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