Eine Fahrt ins Blaue

S leit a Klötzle Blei glei bei Blaubeira,
glei bei Blaubeira leit a Klötzle Blei.
Kinderreim

Um mit einer Binsenweisheit zu beginnen: Dass ich älter werde, merke ich an meinen Kindern. Sie stehen plötzlich als Erwachsene neben mir und sehen großgewachsen mit ironischem Blick auf mich und Frau Klammerle herab. Der Ältere – Sohn Nr. 1 –  wohnt seit ein paar Jahren in einer fernen Stadt, der Jüngere – Sohn Nr. 2 – will lieber heute als morgen ausziehen und betrachtet sein Zimmer als eine Art Hotel mit Internetanschluss und kostenloser Küche. Die Momente, in denen die ganze Familie zusammen ist, sind seltene Kostbarkeiten geworden, die zelebriert sein wollen.

Gestern war solch ein Tag: Alle waren da, alle hatten Zeit, alle hatten frei. Seit einer Woche planten wir eine gemeinsame Bergwanderung im Tannheimer Tal. Doch das Wetter machte uns einen Strich durch die Rechnung: Noch hingen tiefgraue Regenwolken im Alpenstau. Also musste ein Alternativplan her und ich surfte morgens um Sieben Uhr  nach einer Wandermöglichkeit etwas nördlicher, wohin es das Hoch schon geschafft hatte. Diese Zeit ist eigentlich die schönste des Tages: Die Welt ist noch in Ordnung, da alle anderen – auch die Katze – schlafen. Ich kann in Ruhe eine Tasse Kaffee trinken, das Sudoko in der SZ lösen und mir erste Gedanken über meinen Roman machen. Ich suchte mit freundlicher Unterstützung einer Schuchmaschine nach einer Gegend mit „blauem Himmel“. Dabei stieß ich mal wieder auf die von mir chronisch unterschätzte Schwäbische Alp.

Kurz entschlossen fuhren wir daher nicht ins verregnete Nesselwängle, sondern auf der A8 eine gute Stunde in westlicher Richtung. Dort liegt, wenn man von Ulm kommt, kurz hinter der Stadt Blaustein im Tal des Flusses Blau, dessen Quelle der berühmte Blautopf ist, die Ortschaft Blaubeuren. Was mich dorthin zog, war natürlich die Häufung des Wortes „Blau“; es erschien mir als ein gutes Omen, das sich dann auch bewahrheitete. Als Autor bin ich solchen Dingen affin. Da ich noch nie im Ur-Donautal war, wollte ich einfach wissen, ob „Blau“ eine Farbe beschrieb. Was soll ich sagen:

Blaubeuren1

Der Blautopf heißt nicht nur so, er hat auch diese Farbe. Mein Mikrobiologie studierender Sohn Nr. 1 meinte – beiläufig seine überlegene Fachkenntnis unter uns Unwissenden ausstreuend – das läge an Cyanobakterien (Blaualgen) im Wasser, aber offenbar entsteht die erstaunlich intensive Färbung in der trichterförmigen Karstquelle durch Lichtbrechung. Frau Klammerle und Sohn Nr. 2 – er machte sogar ein Handyfoto (das einzige dieses Tages) –  fanden einfach nur die Farbe „geil“. Zufriedenheit bei allen. Ich hatte gut gewählt. In dieser zweitgrößten Karstquelle Deutschlands wohnt übrigens dem Volksglauben nach eine Nixe, die Eduard Mörike „Die schöne Lau“ nannte. Für Speläologen* ist der Blautopf ein Dorado**, denn er ist mit einem faszinierenden und großen Höhlensystem verbunden, das die umliegenden Felsen zu einem Schweizer Käse macht.

Blaubeuren2Als Ausgangspunkt für eine Wanderung jedenfalls eignet sich die sagenumwobene Quelle hervorragend. Sie liegt direkt am Hang, von dem aus einige mehr oder weniger gut ausgeschilderte Wege großräumig in der Höhe um die im Tal liegende Fachwerkstadt herum führen. Man parkt am Besten beim nahen Kloster Blaubeuren. Das ist ein ehemaliges Benediktinerkloster, das seit der Säkularisierung fest in evangelischer Hand, aber allein schon aufgrund des hochgotischen Altars der Kirche einen Besuch wert ist – der Eintritt allerdings ist übertrieben teuer; man befindet sich in schwäbischem Kernland, da gibt es nix für „Lau“. Dafür kann man im Rathaus der gastronomisch gut gerüsteten Stadt bei der Information rechts vom Eingang gratis einen ausführlichen, vom Schwäbischen Alpverein e. V. zusammengestellten Wanderführer erhalten oder diesen vor dem Ausflug aus dem Internet holen.
Blaubeuren3Vom touristisch etwas überlaufenen Blautopf mit seiner Hammermühle aus kann man auf einsamen Wegen größere und kleinere Rundwanderungen durch lichte Buchenwälder an pittoresken Kletterfelsen (im Bild die „küssende Sau“), dunklen Höhlen und Burgruinen vorbei unternehmen. Auf jeden Fall ist der Aufstieg zur 691 m hohen Ruine Günzelburg zu empfehlen, von der zwar nicht mehr viel übrig ist, die aber hoch über dem Tal auf einem steilen Felsen ruht, wo man eine herrliche Aussicht und eine Brotzeit genießen kann. Man sollte allerdings auf scharfe Felskanten achten, denn an einer solchen ging meiner Wanderhose ein großes Stück Stoff verlustig und das an einer Stelle, über die ich schweigen muss, weil dieser Blog jugendfrei sein soll.
Leider ist die Gegend um Blaubeuren stark von Zecken verseucht und Sohn Nr. 2 brachte auch zwei der Mistviecher mit nach Hause – man sollte also auf die entsprechende Kleidung achten, wenn man nicht in Autan baden will. Für einen Familienausflug ist diese Fahrt ins Blaue trotzdem uneingeschränkt zu empfehlen. Es war für alle etwas dabei: Für Sohn Nr. 1 kopulierende Weinbergschnecken und große Laufkäfer, für die Nr. 2 Anregungen für seine nächste Klettertour, für Frau Klammerle nette Ausblicke, im hübschen Ort ein „Kaffeele“ und ein „Blumenlädle“ und für mich ein Grund, heute nachmittag endlich eine neue, schöne Wanderhose zu erwerben.

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*…brav selbst im Fremdwörterbuch nachschlagen; das habe ich schließlich auch getan.
** An Herrn Heun: Bitte nicht mit einer Dorade verwechseln, da nicht essbar.

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