Der Dienstagsroman (VI)

(Was bisher geschah: Der junge Missionar Martin Wolfenklau liegt in wilden Fieberträumen in einem schäbigen Zimmer in Singapur und kämpft mit den Geistern seiner Vergangenheit. Die ehemalige Prostituierte Parbati, mit der er gemeinsam vor der grausamen Gräfin aus dem Rimbu geflohen ist, pflegt ihn aufopfernd. Er versucht, die Frau, die er liebt, vor der mörderischen Gräfin zu warnen, als ihn ein erneuter Fieberanfall zurückführt zu seiner Vergangenheit in Niederbayern, in der alles begann. Der geheimnisvolle alter Xaver kommt auf den Bauernhof, den Martin allein mit seiner Mutter Magdalena bewohnt. Der ‘Einöder’ braucht die Hilfe von der erfahrenen Heilerin und Kräuterfrau. Er zwingt Martin dazu, das Verbot seiner Mutter zu übertreten und sie im Badehaus zu stören:)

Martin war nicht wohl dabei, seine Mutter zu stören. Er schreckte vor der einfachen Tür zurück, von deren rissigen Brettern die weiße Farbe abblätterte und hinter der sie ihr Alleinsein verbarg. Einmal noch sah er zu dem seltsamen Kauz Xaver hinüber. Der Alte betrachtete nun gleichmütig die Flugkünste der letzten, späten Mauersegler über dem Haus, während er wie ein witternder Fährtenhund seine knollige Nase gegen den wehenden Wind hielt.  Annerl, die Katze, pirschte sich an ihn heran; ihr Bauch berührte fast den Boden, der aufgeregt zuckende Schwanz war dick und buschig. Es musste also sein, Xaver würde den Hof  nicht ohne Martins Mutter verlassen.

Der junge Mann drückte die Klinke hinunter, vergeblich. Freilich war die Tür von innen verschlossen, Martin hatte es  nicht anders erwartet.

Muata, dea Xaver war do! Ea brauchad dei Helf zwengs dem Lieserl sei Kaibi!“ Für sich selbst unbemerkt verfiel er wie immer, wenn er mit seiner Mutter sprach, in die Sprache seiner Heimat. Er klopfte behutsam und lauschte. Kein Geräusch drang von drinnen zu ihm ins Freie.

Muata, des war fei scho pressant!“ Er pochte erneut ans Holz, kräftiger diesmal. Nichts, kein Laut, kein sich Regen. Martin zuckte mit den Schultern, nahm entschlossen den großen Hausbund aus seiner speckigen Lederhose. An ihm hing ein zweiter Schlüssel zum Badhaus.

Du, i kimm jedzd eina!“ rief er lauthals und schloss so lärmend wie er nur konnte auf, öffnete die Tür und polterte mit seinen genagelten Stiefeln über die Schwelle in das Dämmerlicht. Martin hatte noch keine zwei Schritte getan, da tappte er gegen einen schweren, bodenlangen Vorhang, der den hinteren Bereich des alten Schweinestalls vor Zugluft und neugierigen Blicken verbarg. So war ein kleiner Vorraum geschaffen, auf dessen blanken Bodenfliesen fein säuberlich die rohen Holzpantoffeln von Magdalena Wolfenklau standen. So sehr Martin auch die Ohren aufstellte, war außer seinem eigenen Herzschlag, der in seinen Schläfen pochte, nichts zu hören. Er hob die Arme und suchte vor sich den Spalt, an dem sich die beiden Hälften des Vorhangs aus grauem Eselsleder überlappten. Seine forschende Rechte fand auch die Öffnung – und er wurde mit fester Hand am Unterarm gepackt, als würde ihn eine Kreuzotter beißen!

Martin zuckte zusammen, wollte sich erschrocken aus der schmerzhaften Umklammerung winden, da vernahm er die Stimme seiner Mutter. Sie war es, deren Hand ihn durch den Spalt, aus dem nun schwache Lichtstrahlen in den Vorraum fielen, eisern gepackt hielt:

Bua! Bleib stehn, auf da Stell! Wag es nua, dass davo rennsd!“

Martin gehorchte sofort. Magda war eine strenge Frau, aber so drohend und ärgerlich hatte ihre Stimme noch nie geklungen; auch nicht bei der gewaltigen Standpauke vor einigen Jahren, als er eines Abends seine tägliche Pflicht vernachlässigte und versäumte, die Hühner in den Stall zu treiben, weil er sich lieber heimlich unten am Waldrand bei den Schleierfällen mit seiner großen Liebe Annamirl Ödbichler traf, der blonden Tochter des Bürgermeisters. Durch seine übergroße Schuld hatte der Fuchs sich damals die beste Legehenne genommen. „Dea Xaver… Muata… ’s Lieserl“, stotterte er.

I woaß, hob di scho gheard, Warsd ja laut gnua“, erwiderte Magda durch den Vorhangspalt, durch den sie nur ihren einen nackten Arm streckte und weiterhin ihren Sohn bestimmt und mit der Gewalt eines Mannes hielt. Einer Kraft, die ihr Martin bisher nicht zugetraut.

Und jedza gehsd. Sog dem Xaver, i kimm glei.“ Sie ließ den Martin überraschend frei und ihr Arm verschwand hinter der Lederwand. Der Junge taumelte vom Griff befreit rückwärts durch die Tür und stolperte gegen die untersetzte von Emeran Zwarmbrunner, dem Gemeindepfarrer, der in eine Lavendelduftwolke gehüllt in seinem Rücken urplötzlich erschienen war. So kräftig war der Stoß, dass sich der fette Geistliche fast in den Kies gesetzt hätte, wenn er sich nicht gedankenschnell an Martins Hosenträgern festgehalten hätte. Flink war er ja, der Hohe Herr, schließlich war sein Steckenpferd die Jagd auf die kapriziösen bunten Schmetterlinge der heimatlichen Wiesen und Gärten.

Mein süßes Jesulein“, näselte Emeran mit hoher Kastratenstimme, die rosigen Lippen gespitzt, „bist mir ja ein ganz stürmischer Bub.“ Er kicherte und seine Augen verwandelten sich in schmale Schlitze.

Martin drehte sich eilig auf der Stelle und schloss dabei hinter sich die Tür zur Badstube, denn er sah die begierig funkelnden Augen des Geistlichen, die Hochwürden ertappt nach unten senkte. Martin schaute, wie der Pfarrer überrascht den Mund öffnete und sah an sich herab, auf seinen rechten Unterarm, auf dem nun Emerans verwunderter Blick ruhte: Sein Arm, den Mutter eben noch wie ein Schraubstock gehalten. Martins Augen weiteten sich, ein dunkelroter, feuchter Fingerabdruck!

Wo kam der jetzt her? Himmel, Herrgott, war das etwa Blut?

 (Fortsetzung folgt…)

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