„Ist nicht die Musik die geheimnisvolle Sprache eines fernen Geisterreichs, deren wunderbare Akzente in unserem Innern widerklingen, und ein höheres, intensives Leben erwecken? Alle Leidenschaften kämpfen schimmernd und glanzvoll gerüstet miteinander, und gehen unter in einer unaussprechlichen Sehnsucht, die unsere Brust erfüllt. Dies ist die unnennbare Wirkung der Instrumentalmusik.“
E.T.A. Hoffmann, Der Dichter und der Komponist
Gestern abend fand im Fronhof zu Augsburg ein Freilichtkonzert mit dem Orchester SUK-Symphony Prag unter der Leitung von Wilhelm F. Walz, dem Konzertmeister der Augsburger Philharmoniker, statt. Der Solist an der Klarinette war Sebastian Manz. Unter dem Motto „Mozart und die Romantik“ erklangen im Park vor der Rokokokulisse der ehemaligen Bischofsresidenz – heute Sitz der schwäbischen Regierung – Werke von Mozart, Weber und Beethoven. Es war eine traumhaft schöne Veranstaltung, bei der das eher ältere Publikum auf exzentrisch verteilten und wackligen Plastikstühlen sitzen musste, deren Eintrittspreis angesichts des Gebotenen etwas überteuert war.
Das gerade bei den Bläsern schwachbrüstige und auch nicht vollkommen treffsichere Orchester litt vor allem bei der nach der Pause dargebotenen 5. Beethoven’schen Sinfonie (c-moll, op. 67) an Asthma, das konnte auch der Dirigent nicht ausgleichen, der teilweise wie eine Holzmarionette aus der Augsburger Puppenkiste vergeblich zu Fülle und Leidenschaft motivierend herumhampelte. Davor gab es eine in den Ecksätzen arg verschleppte 39. Sinfonie von Wolfgang Mozart (Es-Dur, KV 543) und das 2. Klarinettenkonzert op. 74 von Carl Maria von Weber in der gleichen Tonart. Hier konnte – Fluch oder Segen eines Freiluftkonzertes – eine von der romantischen Musik beseelte Amsel in der nahen Buche mühelos und ausdauernd mit dem Solisten mithalten und stellenweise sogar das Orchester übertönen.

Nun, dass Webers Klarinettenwerk ein über jeden Verdacht erhabenes romantisches ist und Mozarts spätem Konzert für das gleiche Soloinstrument (A-Dur, KV 622) einiges verdankt, steht ohne Zweifel fest, aber was – außer einer Laune des Konzertmeisters – hatte die Schicksalssinfonie im Programm verloren, die als klassischer Monolith das Orchester, das das Werk keinen Augenblick im Griff hatte, überforderte? Denn romantisch ist das genialische Stück in keinem Augenblick, obwohl es die nachfolgenden Komponistengenerationen bis hin zu Gustav Mahler nachhaltig beeinflusst hat.
Zwar stellte E.T.A. Hoffmann 1810 in einer Kritik für die Allgemeine musikalische Zeitung das zunächst erfolglose Werk als ein „romantisches“ dar, aber das ist eine typische Vereinnahmung des 19. Jahrhunderts, das auch – ich schrieb in meinem Minne-Essay darüber – das Mittelalter höchst romantisch fand: Es ist die Wirklichkeitsflucht des Bürgers in eine Fantasiewelt.
Es wäre sinnvoller gewesen, nach der Pause, in der sich auch die kecke Amsel zur Nachtruhe begeben hatte, etwas intimeres, der traumhaft klaren und milden Sommernacht angemesseneres Werk zu spielen. Wenn es schon unbedingt Beethoven sein musste, dann vielleicht die Serenade D-Dur op. 8 für Kammerorchester, die noch ganz nah an Haydn und Mozart ist.
Und wenn es ein größeres Orchesterwerk benötigte, um den anerkennenden Schlussapplaus zu verstärken, warum dann nicht Mut zeigen und die auch in der Tonart passende Es-Dur-Sinfonie vom bereits zweimal erwähnten E.T.A. Hoffmann spielen? Sie erklingt eher selten auf den Konzertbühnen, ist aber exakt jener Baustein, der im Musikgebäude genau zwischen Mozart und Beethoven auf der einen, Weber und Schumann auf der anderen Seite passt. Hoffmann, der bekanntermaßen aus Bewunderung ein ‘Amadeus’ im Vornamen führte, wird als Musiker noch immer unterschätzt, obwohl er zahlreiche Opern, Ballette und viel Kammermusik geschrieben hat, mit seinem wundervollen „Miserere b-moll“ sogar ein Kirchenwerk.
Ihm in einer Sommernacht zwischen Klassik und Romantik zu lauschen, hätte den Abend perfekt gemacht. So hinterließ das Konzert einen leicht schalen Geschmack, den das Ehepaar Klammerle rasch in einem nahen Biergarten herunterschluckte…

Und damit ich auch heute eine literarische Empfehlung abgebe: Lesen Sie die Erzählung „Ritter Gluck“.
„Regt nicht in der Höchsten Einfachheit der tiefe Genius seine kräftigen Schwingen? Wer aber lässt auch nicht gern den Reichtum, der ihm zu Gebote steht, vor allen Augen glänzen und ist zufrieden mit dem Beifall des einzelnen Kenners, dem auch ohne Prunk das Gediegene das Liebste oder vielmehr das einzig Liebe ist?“
E.T.A. Hoffmann, Beethovens Messe