Nikolaus Klammer Essay,Literatur,Lyrik,Sprache Minnedichtung – Ein Essay (V)

Minnedichtung – Ein Essay (V)

Ironie  und ein Griff ins pralle Leben – Teil 2

Es folgt ein Meisterstück von Walther von der Vogelweide, der schon häufiger zu Wort kam. Es ein Winterlied und funkelt vor Ironie.

Die Welt war gelb, war rot und blau,
war grün im Wald und in der Au.
Kleine Vögel sangen dort genau –
nun macht die Nebelkräh‘ Radau.
Die Welt hat eine andre Farbe, schau:
Sie ist nun bleich, grau über grau.
So mancher lüpft hier seine Brau.

Auf grüner Höhe saß ich eh:
es wuchsen Blumen und der Klee
von hier oben bis runter an den See.
Doch diese Augenweide ist passé.
Wo wir gepflückt so manch Bouquet,
dort liegt nun Reif und Schnee.

Den kleinen Vöglein tut das weh.

Die Deppen rufen: Schnei doch, schnei!
Die armen Leut: Ohweh, owei!
Ich fühle mich so schwer wie Blei.
Der Winterkummer hab ich drei.
Doch diese Jammerei:
Sie wäre sicher rasch vorbei,
käme nur der Sommer bald herbei!

Und wenn ich noch lange lebe so,
dann fresse ich noch die Krebse roh!
Sommer, mach uns wieder froh.
Begrünst die Täler, die Höhen, wo
ich mit Blumen spielte mit Niveau,
und mein Herz zur Sonn entfloh,
das jagt den Winter in das Stroh!

Ich wälz mich wie ein Schwein,
mein glattes Haar ist nicht mehr fein.
Mein Sommer, wo magst du sein?
Bauern, spannt die Pflüge ein!
Der Winter bringt mir arge Pein,
fängt und klemmt mich hier so ein:
will lieber Mönch in Doberlug sein!

BurgOffenbar war die Lausitz, wo das erwähnte Kloster Doberlug lag, schon damals nicht unbedingt der Nabel der Welt. Jene Zisterzienser-Abtei, von der heute noch die ursprünglich romanische Klosterkirche steht, ist übrigens die einzige konkrete Ortsangabe, die in einem Lied von Walther auftaucht, sonst bleibt er ein auch von seinen Zeitgenossen nur selten erwähntes Phantom, das vollkommen hinter seiner Dichtung verschwunden ist. (1) 

Das nächste Lied, eine Frühlingsminne vom noch geheimnisvolleren Tannhäuser (um 1205 – 1266) (2), sei diesmal in Ausschnitten im Originalton vorgestellt, um hier wenigstens einmal die Sprachmelodie des Hochmittelalters erfahrbar zu machen, soweit dies überhaupt möglich ist. Wenn man die in den unterschiedlichsten Dialekten verfassten und nur selten vom Autor selbst aufgezeichneten Gedichte liest, fragt man sich unwillkürlich, ob ein österreichischer Sänger einen sächsischen Dicher verstanden hat. Wir Heutigen, zumindest jene, die kein Grundstudium der Germanistik vorweisen können, tun uns da noch schwerer. Die wahre Qualität der alten Reime ist wahrscheinlich für immer in den Zeitläufen verloren gegangen. Es wird aber im Folgenden deutlich, wie in oder, besser gesagt, en vogue es war, französische Floskeln zu benutzen:

[…]

Ein fores stuont da nahen,
aldar begunde ich gahen.
da horte ich mich enpfahen
die vogel also suoze.
so wol dem selben gruoze!

 Ich hort da wol tschantieren,
die nachtegal toubieren.
alda muost ich parlieren
ze rehte, wie mir waere:
ich was an alle swaere.

 Ein riviere ich da gesach:
durch den fores gienc ein bach
ze tal übr ein planiure.
ich sleich ir nach, unz ich si vant, die schoenen creatiure:
bi dem fontane saz diu klare, süeze von faitiure.

  […]

Noch Karl V. wird um 1550 feststellen: „…Französisch spreche ich mit Männern und Deutsch mit meinem Pferd.“

Doch die Herren der Hohen Minne wußten sich auch handfester auszudrücken. Es folgt ein Freßlied, das mutmaßlich von Neidhart aus dem Reuenthal (erste Hälfte des 13. Jhds., vermutlich aus Bayern) stammt, meinem persönlichen Favoriten unter den mittelalterlichen Dichtern.  Es scheint in seiner Rabelaisschen Übertreibung viele unserer Vorurteile über die Sitten des MA zu bestätigen.

Lauft nun alle begeistert
auf die Straßen, tobt wild
durch die Gassen.
Keiner soll lauter sein als wir.

Setzen wir uns an die Tafel!
Wir wollen frische Fische schlemmen,
Schleien, Karpfen, Hechte, Stör
mit scharfer Pfeffersoße.

Seht die Häufen Wildbret:
wir fressen Hirsch und Kuh,
Schweine und auch Bären
werden wir gierig schmausen.

Dazu gibts Hase, Fuchs,
das Reh und auch den Luchs:
unser Magen nimmt gebläht
das alles in sich auf.

Nicht genug? Schafe, Rinder
und ihre Kinder
können sich nirgendwo

vor uns schützen oder retten.

Fette Kälber, Ochsen, Stiere:
wir verschlingen alles!
Dazu vier Schinken
und etliche Rüben kochen!

Wir wünschen uns zwei Hammel
und vierzehn Hühner!
Fette, gut gewürzte Braten
zusammen eine Elle lang,

[…]

Das Lied geht in diesem Stil noch einige Strophen weiter und gipfelt in einem Nachtisch mit 100 Eiern; wobei Zahlenangaben im MA nie tatsächliche waren. Einhundert stand für „viele“, eintausend für „unüberschaubar viele“. Wenn also ein Geschichtsschreiber von zehntausend Streitern in einer Schlacht sprach, wollte er nur eine große Menge andeuten, die jedoch nichts mit der tatsächlichen Kämpferzahl zu tun hat.

Hoffentlich ist Neidhart satt geworden, denn leider konnte es auch anders gehen und dieses andere war für die Mehrzahl der Bevölkerung die alltägliche grausame Realität. In einer Zeit, in der das eingebrachte Saatgut in der Regel nur eine doppelte oder dreifache Ernte brachte, konnten zwei oder drei schlechte Sommer oder harte Winter verheerende Hungerkatastrophen in ganz Europa hervorbringen. (3)

Neidhart, den wir im nächsten Abschnitt als Erotiker kennenlernen werden, hat praktisch im Alleingang das Bild des Bauern als dummen, gefräßigen, faulen, dabei eben „bauernschlauen“ und hinterhältigen Menschen geprägt, das bis in unsere Zeit nachwirkt. Er hat zahlreiche Hassgedichte auf diesen Stand, der ihn letztlich als fahrenden Sänger nährte, geschrieben und sich über diese ewig geilen „thumben Thoren“ und ihre rustikalen Sitten lustig gemacht. Dies führte sogar dazu, dass überall in den Städten begeistert gefeierte „Neidhart-Spiele“ aufgeführt wurden, in denen die Bauern als Hanswurste dienten – eine Art früher Komödienstadel. Einige dieser Theatersatiren von Neidhartnachfolgern sind uns erhalten geblieben und sie dürfen bei den Gründen, die zu den Bauernkriegen am Ausgang des MA führten, nicht unterschätzt werden.

 [ZUM SECHSTEN TEIL]

Fußnoten

(1) Als sicher gilt, dass Walther nicht in Bozen geboren ist, obwohl sich die Südtiroler Gemeinde mit einem großen Denkmal als seinen Geburtsort feiert. Aufgewachsen scheint er bei Wien zu sein: „ze Ôsterrîche lernt ich singen unde sagen. „

(2) Ja, den Tannhäuser gab es auch schon vor Richard Wagner. Auch der legendäre Sängerkrieg, an dem nach den mehr als unzuverlässigen Quellen unter anderen auch Heinrich von Ofterdingen, Walther von der Vogelweide und Wolfram von Eschenbach teilnahmen, scheint auf der Wartburg stattgefunden zu haben. Ein Sängerstreit um einen Kranz, der von der von der Burgherrin verliehen wurde,  war wahrscheinlich eine gängige Unterhaltung an den winterlichen Fürstenhöfen; das Wartburgfest hat wegen seiner legendären Teilehmerliste Ruhm erlangt. Eine Geldzuwendung und freie Kost und Logis motivierten die Sänger sicher zusätzlich.
Ich empfehle hier den Roman „Krieg der Sänger“ von Robert Löhr, Piper 2012; eine süffig lesbare Kriminalhistorie, die keineswegs die tatsächliche Geschichte erzählt, aber „höllischen“ Spaß macht.

(3) Vergiftungen durch den Schmarotzerpilz „Mutterkorn“ waren eine Volkskrankheit. Veitstanz, Wahnsinn, abgestorbene Gliedmaßen und oft auch der Tod waren die Folge.
Wahnsinnige wurden in der Gesellschaft des MA im Gegensatz zu Leprakranken übrigens toleriert. Der Übergang zwischen heiligen Visionen und Irresein war fließend.

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