Ironie und ein Griff ins pralle Leben – Teil I
Die Dichter der hohen Minne waren sich sehr wohl bewusst, dass es neben dem Preisen der geistigen Werte der unerreichbaren Liebsten und ihres “Zwillings” im Himmel auch noch Handfesteres auf dieser Welt gibt. Ihr Publikum an den Höfen, übrigens auch den bischöflichen, wollten gerade solches begeistert hören. (1) Nicht einmal die Minnedichter lebten nach den Idealen, die sie vertraten, die meisten von ihnen waren verheiratet oder hatten diverse Liebschaften und besuchten gerne die Badehäuser, die nicht nur der körperlichen Hygiene dienten, sondern oft genug auch die mittelalterliche Variante eines Swingerclubs waren.
Mancher begrüßt mich so
und das macht mich gar nicht froh,
Hartmann, gehen wir schauen,
ritterliche Frauen.
So lass er mich in Ruh
und seh allein den Frauen zu.
Wenn ich vor solche Frauen kam,
war ich voller Scham.
Bei Frauen hab ich nur eins im Sinn,
dass sie so zu mir sind wie ich bin.
Deshalb vertreib ich mir lieber den Tag,
indem ich arme Frauen mag.
Überall gibt es von ihnen viel,
und dort ist immer eine, die mich will.
Die ist dann meines Herzens Spiel.
Was also nutzt mir ein so hohes Ziel?
Noch heut geht mir die Torheit nach
dass ich zu der edlen Dame sprach:
Edle Frau, ich habe alle meine Sinne
ausgerichtet auf Eure Minne.
Da begann sie über mich zu klagen,
Drum will ich, lasst euch sagen,
nur noch solche Frauen suchen,
die mich nicht so offen fluchen.
Also dichtete Hartmann von Aue (um 1165 – 1215), manchem Schüler als Epiker in schlechter Erinnerung (2) und er klingt ehrlich. Dennoch darf nicht vergessen werden, dass Dichter nie stärker stilisierten und an überkommene Formen gebunden waren als gerade im MA. Vorbild waren auch hier – soweit bekannt – die klassische lateinische Dichtung wie die von Ovid oder Vergil und die maurisch-fränkischen Troubaroures. Jedes Lied, das entstand, musste in eine Gattungsschublade passen und sich auch inhaltlich an einen ganz eng gefassten Rahmen halten. In diesem Abschnitt will ich für die wichtigsten Liedgattungen jeweils einen charakteristischen Vertreter zeigen.
Der Grund für das Stilisieren der Minnedichter ist wieder in der Religion zu finden. Da, bedingt durch die bereits erläuterte Weltanschauung des MA, das Ich des Einzelnen, das erst eine Erfindung der Renaissance ist, nur eine verschwindend geringe Rolle spielen durfte und persönliche Eigenarten des Einzelnen im großen Ordnungsplan als eher störend empfunden und “Neues” sogar als ketzerisch gebrandmarkt wurde, legte man darauf Wert darauf, dass dichterische Texte und Kunst überhaupt einen allgemeingültigen Aspekt aufwiesen. Fast nie wurde eine Statue mit individuellen Zügen ausgestattet, Portraits wurden nicht geschaffen, vom „Kunstwerk“ sprach man erst im 19. Jahrhundert.
“Dabei gibt der Künstler Form und Gestalt nur einem Gegenstand, der bereits vorhanden ist und Dasein schon besitzt, wie der Erde, dem Steine, dem Holze, dem Golde oder einem beliebigen anderen Stoffe dieser Art. Und woher wären diese, wenn du, mein Gott, nicht ihnen Dasein verliehen hättest? Du hast dem Künstler den Leib gebildet, du ihm eine Seele geschaffen, die den Gliedern gebietet, du hast ihm den Stoff geliefert, aus dem er etwas bildet, du ihm das Talent gegeben, mit dem er die Kunst erfaßt und innerlich schaut, was er äußerlich darstellen soll, du die Sinne, durch deren Vermittlung er das Bild seines Geistes auf den Stoff überträgt und wiederum der Seele über die Verwirklichung der Idee berichtet, so daß dann dieser die in seinem Innern thronende Wahrheit fragen kann, ob das Abbild gut sei. Dich preist all dieses als den Schöpfer aller Dinge.”
So schreibt Augustinus, erneut als Zeuge für die mittelalterliche Weltanschauung dienend, und er macht deutlich, wie der Künstler nur als ein Sprachrohr Gottes aufgefasst wurde, seine Person und sein Name weiter keine Bedeutung haben, vom tatsächlichen Urheber alles Geschaffenen nur ablenken. Darüber, ob das sündig sei und ob ein Künstler damit auch Geld verdienen dürfe, wurde in den Kirchenkonzilen gestritten.
Obwohl die höfische Welt, die etwa 8 – 9 % der Bevölkerung ausmachte, als erste so etwas wie „Selbst”-Bewusstsein entwickelte, waren ihre Dichter sehr vorsichtig mit einer Darstellung ihrer eigenen Persönlichkeit und gingen sehr ins Allgemeine oder Typische, werden dadurch nur selten als Menschen greifbar. Auch aus diesem Grund ist sehr wenig über ihre Biographien erfahrbar. Es scheint, als seien sie wie der Moderne Mensch von einer promethischen Scham erfasst, jedoch nicht gegenüber der Maschine, sondern gegenüber Gott. (3)
Dennoch gibt es immer wieder Momente, manchmal nur eine Zeile oder Wendung, in der einer der Minnedichter die Konvention aufbricht und dann gelingt ihm Großartiges. Das folgende Gedicht ist der Anfang eines sogenannten Tageliedes und behandelt eines der beliebtesten Minnethemen des MA. Es beschreibt den Morgen nach dem Ehebruch. Der fahrende Ritter liegt im Bett seiner Herrin, es graut der Morgen, der Wächter auf den Zinnen – ein Vertrauter der beiden – kündigt den neuen Tag und die Rückkehr des gehörnten Ehemannes an. Die Frau will diese Meldung nicht wahrhaben. Trotz der nun gebotenen Eile können sich die beiden erst von einander trennen, nachdem sie noch einmal miteinander geschlafen haben.
„Die Pranken zog der Tag durch die Wolken,
er steigt herauf mit Manneskraft,
ich sehe schon den Morgen grauen:
jenen Tag, der uns das Liebesglück
zerstören will ,mir und dem edlen Mann,
der sich zur Nacht hereingeschlichen –
ich bring ihn fort, wenn das noch geht.
Er zeichnet sich in vielem aus – ich muss es tun!”
Man kennt von den Minnedichtern Hunderte von Variationen des Tageliedes; auch hier stammen die Vorlagen aus dem Französischen. Das eben zitierte hat der edle Wolfram von Eschenbach (um 1170 – 1220) einer höfischen Gesellschaft vorgetragen, die den Ehebruch ablehnte; eine Frau, die Unzucht trieb, wurde geächtet. Das Tagelied war nichts weiter als ein typisches literarisches Muster und besaß keinerlei soziale Realität; zumindest nicht für die Gesellschaft im mittelalterlichen Deutschland.
Und doch: Was für eine Kraft hat diese Dichtung noch heute!
Die Pranken zog der Tag durch die Wolken…
Fußnoten
(1) Dass die Minnesänger dabei auch Schwierigkeiten hatten, es allen recht zu machen, spiegeln die folgenden, von Dieter Kühn übertragenen Zeilen wieder, die von einem recht verzweifelten Marner (gest. um 1270) stammen. Vor allem in der desillusionierten letzten Strophe gibt er eine zeitlose Künstlererfahrung wieder:
Sing ich vor den Leuten meine Lieder,
so hätte der erste gerne dies:
wie Herr Dietrich floh, aus Bern;
der zweite: wo herrscht König Rother;
der dritte wünscht den Reussenkampf,
der vierte: Eckehards Leid und Tod,
der fünfte: wer war Kriemhilds Opfer;
der sechste hörte lieber dies:
wie’s dem Volk der Wilzen geht;
der siebte möchte irgendwas
vom Kampf des Heime oder Wittich,
vom Tod des Siegfried oder Ecke;
der achte will aber nur eines:
Minnesang im Stil des Hofes;
den neunten langweilt dies alles sehr;
der zehnte weiß nicht, was er will.
[…]
So dringt mein Lied in Ohren ein:
wie weiches Blei in Marmorstein.
(2) Wie die Schule mit diesen Dichtern umgeht, so sie nicht einen großen Bogen um sie macht, ist ein Thema für sich und zwar ein trauriges: Der Spaß an Lyrik und Literatur wird einem nirgendwo gründlicher verdorben als im Deutschunterricht. Oft hält diese ablehnende Konditionierung ein Leben lang. Die Erzeugnisse der Dichter werden in der Schule nicht nur gewalttätig mit Bildung, Kategorisierung und durch weihevolles Anbeten getötet, es wird dann auch noch mit hanebüchenen Deutungen so lange Leichenfledderei betrieben, bis auch dem letzten die Lust daran vergangen ist, sich mit Literatur auseinander zu setzen.
(3) Der Begriff der promethischen Scham, den ich hier so bedenkenlos übernehme, stammt aus dem I. Band der Antiquiertheit des Menschen, München 1956, von Günther Anders.
2 Antworten auf „Minnedichtung – Ein Essay (IV)“
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