Nikolaus Klammer Alltägliches,Aufreger,Der Autor,Leben,Musik Der Freitagsaufreger (VI): Gute Laune

Der Freitagsaufreger (VI): Gute Laune

Die Morgenhysterie

Gemach! Bevor alle Werktätigen mit Früh- und Nachtschichten über mich herfallen – ich kann bereits den einen oder anderen bösen Kommentar auf der Zunge schmecken – ich weiß, dass ich auf höchstem Niveau jammere. Aber ein-, zweimal in der Woche zwingt mich mein Brotberuf, bereits gegen 05:45 Uhr aufzustehen und ich hasse das, Gott hat den Menschen nicht dazu geschaffen, um diese Uhrzeit aufzustehen, schließlich geht auch die Sonne meist erst später auf. Ich bin kein Langschläfer, aber vor sieben Uhr aufstehen: Das ist eine unmenschliche Tortour, die gesetzlich verboten gehört.

Mein Leib schleppt sich also nach dem unbarmherzigen Weckerklingeln einem Zombie gleich ins Bad, während meine Seele noch im Bett liegt und von heiteren, leichten Dingen träumt. Erst, wenn der Körper vor dem Spiegel stehend mechanisch die Zähne schrubbt, werde ich langsam wach und komme hinter mir her ins Bad getrottet. Dort finde ich mich und eine Laune. Selten ist es eine gute, denn der Verfall, der mir aus dem Spiegel mit zahnpastaverschmierten Lippen eine Grimasse macht, schreitet hurtig voran und die Zahl der grauen Haare steigt täglich progressiv. Selbst wenn ich mich noch für eine schnelle Dusche mit „revitalisierenden Algenextrakten“ und „Hairenergizer“ (wird wahrscheinlich „Här-Einischeißer“ ausgesprochen) entscheide, bringt das keine Jugendlichkeit zurück.
Auch der weitere Ablauf des Tagesbeginns folgt einer festen Zen-Regel: Ich tappe an den Briefkasten und nehme die Zeitung, trage sie in die Küche und schmeiße den Kaffeevollautomaten an. Dann schleppe ich mich zum Radio und öffne den Sender meines Vertrauens. Da ich grundsätzlich – und am Morgen insbesondere – auf das waidwunde Gewinsel von Christiane Stürmer (oder Christina, oder wie die heißt), des Grafen und von Xavier Naidoo und auf das Beste aus den 80ern und die Hits der 90ern verzichten kann, ist die Frequenz auf den einzigen Rocksender eingestellt, der Bayern beschallt. Da deren Songauswahl eng begrenzt ist, singt meist Jon Bon Jovi, was ich morgens gerade noch hinnehme. Ich packe also meinen Pott Kaffee, kühle ihn großzügig mit Milch, vergesse dann aber meist umzurühren und verbrenne mir den Mund (aber das wissen wir ja schon aus dem letzten Aufreger). Mühsam versuche ich die Schlagzeilen der Zeitung zu verstehen. Mist, ich brauche jetzt wirklich bald eine Lesebrille. Die Laune bessert sich nicht.

Und dann wird in die letzten Takte des Liedes gequatscht und der Ärger geht los:

Warum müssen Radiomoderatoren – insbesonder Morgenshowmoderatoren – immer so hysterisch gute Laune haben? Da wird ein Sparwitz nach dem anderen gerissen und künstlich darüber gelacht und damit der trübe Morgenverstand des Hörers auch mitbekommt, dass das lustig sein sollte, wird das Ganze noch mit einem Trötgeräusch oder einer Fanfare untermalt. Und so kichert man sich durch die Moderation und durch den Wetterbericht und wirft sich bei den Verkehrsmeldungen fast weg, unterbrochen von den immer gleichen Werbejingles, in denen mir noch hysterischere, kurz vor der Einweisung in eine Anstalt stehende Menschen zum hundertausendsten Mal versichern, wie lecker die Spätzle von Settele sind, wie günstig eine Autofinanzierung ist und welche Nummer die Telefonauskunft hat – dazwischen singen BostonWhat a feeling„, obwohl ich, wenn ich ehrlich bin, außer aufsteigendem Zorn noch überhaupt nichts fühle…
Ist es denn so schwer zu begreifen, dass ich das am Morgen alles nicht brauche? Können denn die Moderatoren (Barny! Eisprinzessin! Ha, ha, ha ha, ha! Das Wetter, ha ha! Klingeling, wer ist denn da dran? Ha, ha, ha! Trööt!) nicht auf mich Rücksicht nehmen und wenigstens in einem der tausend Sender keine klinischen Fälle in der manischen Phase plappern, sondern auch einfach mal schlecht gelaunt sein?  Ich habe mir sogar ein Internetradio mit 50.000 Sendern zugelegt. Dadurch wurde nichts besser: Jetzt kann ich aber die Morgenhysteriker in allen Sprachen der Welt empfangen – am schlimmsten sind die Japaner…
Warum gibt es kein Morgenmuffelradio, in dem jemand mit übler Stimmung halb schlafwandlerisch ein paar Informationen ins Mikro murmelt und dann Leonard Cohen oder The Cure jammern lässt? Das würde mir morgens wirklich helfen…

Radio

Vielleicht sollte ich selbst solch eine Radiostation gründen: Morgenmuffel 92,4, das Programm für die Nichtausgeschlafenen, mit der Schlechte-Laune-Garantie den ganzen Tag und den traurigsten Rockballaden – werbefrei und ohne Gewinnspiele.

„First we take this morning, than we take the day…“

7 thoughts on “Der Freitagsaufreger (VI): Gute Laune”

  1. Und was ist mir, Kommentator aus dem niederbayrischen Saustall?

  2. Vielleicht den Wetterbericht?
    Und dann „Sebastian“ von Cockney Rebel. Oder für die Landfrau „Wild Horses!“

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