Der Oktopus (ein Capriccio a la Heun)

(Ich kann nicht nur Balzac nachmachen. Weil das Wetter so schön ist und ich besseres weiß, als heute meine Zeit im Netz zu verschwenden, folgt eine Geschichte im literarischen Stil des Herrn Heun aus meiner umfangreichen Texthalde. Ich weise in diesem Zusammenhang noch einmal auf seine Kurzgeschichtensammlung „Schweinehirngeschichten“ hin, die wirklich lesebar. Und schon lasse ich wie automatisch das Hilfszeitwort am Ende des Satzes weg; eine Auslassung, die den Heun’schen Stil maßgeblich prägt.)

Der Oktopus
(ein Capriccio a la Heun)

Ein Vorzug meines Rentier-Lebens (bitte nicht mit Rentier-Fleisch verwechseln, das zäh und tranig – ganz anders als der Rentner auf Tabor) ist das Glück, für und mit Freunden zu kochen – mit ihnen den besonderen Augenblick: den einen Schluck, den einen Bissen teilen. Wenn dann mein lieber Freund und Trauzeuge – fast hätte ich Kupferstecher gesagt – der bekannte Autor Nikolaus Klammer seinen Besuch zu Silvester ankündigt: dann ist dies des Glückes fast zu viel. Aber ist nicht jeder seines Glückes Koch?

Ein Silvestermenü sollt’s also sein – und ein besonderes dazu. Der Herr Kupferstecher ist nicht allem Fleischlichen abhold, kaut es aber nur ungern zwischen den Zähnen (wenn es einmal tot), jedoch ist er nicht bayerischer als der Papst und neben den Früchten des Ackers auch denen des Meeres zugeneigt – isst also neben Obst und Gemüse alles, was schwimmt. Da ich nicht wieder ein Zicklein in den Teich hinterm Haus werfen wollte – die armen Goldfische sind vom letzten noch durcheinander – ließ ich mir vom Münchener Großmarkt in aller Herrgottsfrühe einen hundsgemeinen Oktopus besorgen, der sich allerdings als sau-gemein herausstellte.

ERSTES GEDICHT VOM OKTOPUS

Ein Oktopus, ein Oktopus,
acht Arme hat er und kein’ Fuß,
ist die Speise, die man servieren muss.
Denn glücklich wird ein jeder Tisch,
belädt man Teller mit Tintenfisch.

Ein Oktopus, ein Oktopus,
ist ein wahrer Hochgenuss,
wenn er zart wie ein Zungenkuss.
Wird er dir gelingen,
werden deine Freunde Hymnen singen.

oktopusJetzt tun wir was für die Bildung: Die fälschlich als Polypen bezeichneten Kraken – Octopoda vulgaria – italienisch Polpo – gehören zur Familie der Kopffüßer und sind nicht mit Kalmaren oder Tintenfischen zu verwechseln… Sie wissen schon, jenen schlabberigen, fetttriefend frittierten Gummireifen, die Sie gemeinsam mit matschigem Majonäse-Knoblauch-Brei beim Italiener um die Ecke serviert bekommen. Die lernfähigen Achtfüßer haben bezeichnenderweise 8 (in Worten Acht) Arme und erreichen eine Gesamtlänge bis über 4 Meter. Für Bodenhaftung auf glatten Flächen sorgen reihenweise Saugnäpfe. Oktopussy ist ein nachtaktiver Einsiedler und labt sich an Krebsen und Muscheln, der alte Feinschmeck, der… Er kann sich farblich der Umgebung anpassen und, wenn er sich nicht festgesaugt hat, pfeilschnell sein (wir reden noch vom Kraken und nicht von der Erbschaftssteuer). Die ältesten Vertreter der achtarmigen Tintenfische tauchten vor etwa 264 Millionen Jahren auf. Genug der Bildung. Merken Sie sich die Zahl Acht.

Während am frühen Nachmittag der Besuch nebst meiner Gattin im Thermalbad zu Bad Griesbach bei 34° warmem Wasser pochierte, hatte ich Ähnliches mit dem achtarmigen Mittelpunkt der heutigen Tafel im Sinn.

Falls Sie alles nachkochen wollen (aber lesen Sie auf jeden Fall vorher zu Ende): Man nimmt den Kraken, spült ihn und schneidet den Kopf ab, was nicht ganz einfach, denn er sitzt zwischen Armen und Körper. Den Kopf wirft man weg (oder kocht ihn mit und erfreut die Katzen der Gegend). Vom Sack zieht man die Haut ab, stülpt ihn um und entfernt die Innereien. Das Kauwerkzeug zwischen den Fangarmen wird ebenfalls herausgeschnitten.

Fischer schlagen den Kraken nun gegen Felsen. Ihm fehlt jedes stützende Skelett, deshalb haben seine Arme (8 Stück!) ein Eiweißgerüst aus elastischen und verzweigten Proteinen, die dem Bindegewebe von Landtieren ähneln. Durch die Gewalt platzende Zellen setzen Enzyme frei, die die Eiweißfasern zerschneiden und den Kraken zarter machen. Wenn wir das Eiweiß so behandeln, dann wird eine Delikatesse daraus. Da ich nur wenige Felsen mein Eigen nenne, klopfte ich meinen Oktopoden über dem edelhölzernen Klodeckel im Badezimmer windelweich. Sie können diese Arbeit auch auf Ihrer Küchenplatte, edlen Travertinstein-Terrasse oder an den Säulen Ihres Vestibüls erledigen; wichtig ist, dass Sie wirklich brutal und rücksichtslos.

Haben Sie Oktopussy fix und fertig gemacht, schneiden oder zerschnipseln Sie 4 Karotten, 1 Zwiebel, ¼ Sellerie, eine Stange Lauch, ½ Fenchel und bringen alles in einem schweren Topf mit ca. 1 ½ l Wasser, ¾ l trockenem Weißwein, 4 Lorbeerblättern und 4 kleinen scharfen Chilischoten zum Kochen. Manche Köche legen Weinkorken ins Kochwasser, sie sollen feste Verfilzungen verhindern. Am wichtigsten ist, einen Oktopus sanft zu dünsten oder knapp unter dem Siedepunkt zu pochieren, damit sich die Proteine langsam auffalten, lockere Netze bilden und Wasser binden. Sie können alle Techniken kombinieren, entscheidend ist die sensible Temperatursteuerung. Und lassen Sie sich drei bis vier Stunden Zeit.

Day of the tentacleKommen wir zur Katastrophe: Der Begriff Krake kommt aus dem norwegischen und bezeichnet ein Seeungeheuer, das trinkfeste Seeleute im Mittelalter entdeckten. Vieles spricht dafür, dass Homer in der Scylla einen Kraken beschrieb. Meine Scylla entpuppte sich als würdiges Monster! Während ich sie vorsichtig köcheln ließ, wurden die acht Arme nicht weicher, sondern kleiner – schrumpelten wie der beste Freund des Mannes nach einem Sprung in eiskaltes Wasser. Ursprünglich über einen Meter groß, war der saugemeine Oktopus nach einer Stunde im Topf um die Hälfte geschrumpft!

Das war kein Hauptgericht mehr, der Oktopus disqualifizierte sich zur Vorspeise. Aber ein Koch, der sich nicht zu helfen weiß, ist keiner. Der Freund und die Gattin planschten noch einige Stunden im Lauwarmen – genug Zeit, umzuplanen: Tintenfischrisotto oder ein leckerer Salat ließ sich aus dem Tierchen noch gewinnen, wenn es nur endlich Mitleid mit mir hatte und sich erweichen würde. Ich eilte in den Keller, die Vorräte kontrollieren. Vielleicht musste ich einem tiefgefrorenen Hasen das Schwimmen beibringen, damit er den Tag rettete.

Als ich wieder in den Topf sah, zog es mir buchstäblich die Schuhe aus: Erneut war der Krake geschrumpft, hatte die Größe eines gewöhnlichen Kalmaren – und war noch immer nicht weich. Das Tier machte sich lustig über mich, den Chef de Cuisine, den Maître!

Na warte! Ich schob meine weißgelochten Latschen zur Seite, spürte die kühlen Terracotta-Fließen unter meinen Fußsohlen. Das war ein Zweikampf : Ich gegen den Kraken – da konnte es nur einen Gewinner geben. Zum Amuse-Gueule reichst du, dachte ich, das »freut das Maul«. Dich krieg’ ich noch weich!

Wie die meisten Schriftsteller konnte man Nikolaus mit der Witwe Clicquot oder dem Baron Rothschild ablenken, bei meine Dame war das schwieriger! Ich sah schon den halblächelnden Blick meiner Holden, mit dem sie mitleidig die Reste des Kraken begutachten würde: Nein, jetzt musste eine zündende Idee her.

ZWEITES GEDICHT VOM OKTOPUS

Oktopus, oh Oktopus,
was ich mit dir erleben muss.
Oktopus, oh Oktopus,
jetzt ist aber endlich Schluss.
Ach, Oktopus, nun werd’ schon weich,
landest sonst als Fischfutter im Teich.

Wieder verging eine Stunde, dann sah ich erneut nach dem Kraken. Es roch verführerisch in der Küche. Ich nahm einen Schaumlöffel, fischte nach dem unbeugsamen Monster. Sie werden es nicht glauben, aber ich lege meine Hand ins Feuer: Im Topf schwammen Karotten, Zwiebeln, Sellerie, Lauch, Fenchel, Lorbeerblätter, Chilischoten und sonst – nichts. Der Krake hatte sich in Luft aufgelöst… Wobei, das stimmt nicht ganz: Tief unten, unter dem Gemüse, lag eine Kugel aus lila-schwarzer Materie, hart wie eine Glasmurmel und tonnenschwer. Es war unmöglich, den Topf zu heben oder sie herauszufischen. Die acht Arme hatten sich wie die Milchstraße ineinander gedreht und in ein schwarzes Loch verwandelt. Ich fühlte mich, als würde ich hineingezogen.

»Was gibt es heute Abend Leckeres?« Meine Frau stand in der Küchentür, schnupperte. Mein Freund und Trauzeuge schob sich hinter ihr herein.

»Die Sauna macht hungrig«, rief er.

»Suppe«, sagte ich, »leckerste Oktopussuppe, das Beste, was es gibt. So etwas kriegst du nur bei mir. Mein Potage beschert sogar Mumien feuchte Träume. «

Und – glauben Sie’s oder nicht – ich hatte recht!

6 thoughts on “Der Oktopus (ein Capriccio a la Heun)”

  1. Ha, Du Nikolaus Klammerle, der Du Dich einen, meinen Freund nennst, wagst es und veröffentlichst meine schwärzesten Stunden. Ich wusste doch, Dich, Schriftsteller und damit Papiertiger – wahrscheinlich von einer nächsten Bouteille Clicquot dazu angeregt –, würde der Neid auf meine sonstige überirdische Kochkunst nicht ruhen lassen und Du irgendwann diese dunkle Karmalität (von Karma, einem bösen, und nicht von Calamarität!) der Welt aufzeigen, um Hohn und Spott in Kübeln auf mein armes Rentier-Haupt zu schütten.
    Doch warte nur, bei Deinem nächsten Besuch auf Tabor, dem heiligen Berg der Kochkunst, serviere ich Dir, Vegetarier, Radieschenfresser, einen hundsgemeinen Schweinsbraten … und ohne die fünf üblichen Flaschen Baron Rothschild. Das haste nun davon.

  2. Nun, als Autor bin ich immer der Wahrheit und Eubulides verpflichtet und muss meine Finger auf die brennenden Wunden der Zeit legen! Oder kennst du einen Schriftsteller, lieber Rentier, der mal flunkern würde? Ich sage immer die Wahrheit, denn:
    „Wenn ich lügend sage, dass ich lüge, lüge ich oder sage ich Wahres?“- „Du sagst Wahres.“ – „Wenn ich Wahres sage und sage, dass ich lüge, lüge ich?“

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