Nikolaus Klammer Alltägliches,Aufreger,Katzen,Leben,Philosophie,Wandern Der Freitagsaufreger (II): Platon und das Ungeziefer

Der Freitagsaufreger (II): Platon und das Ungeziefer

Platon und das Ungeziefer

Das 21. Jahrhundert hat einige Dinge hervorgebracht, die es in meiner Jugend nicht gab. Niemand konnte sich damals vorstellen, ihm würde einmal eine durchgedrehte Konsumindustrie künstliche Sachen wie Smartphones, Fahrradhelme, „tunnels“ für die Ohren oder Daniela Katzenberger als überlebensnotwendig vorgaukeln.
Doch ich will nicht von aus Geldgier erzeugten Gelüsten nach unnötigen Objekten reden, denn das würde den Rahmen eines Freitagabend-Aufregers sprengen, sondern von einem unscheinbaren Tierchen, das es früher offenbar ebenfalls nicht gab. Zumindest kann ich mich nicht erinnern:
Ich rede von der Zecke, einer – dies für den Biologen in der Familie – Parasitiforma der Acari mit dem Gattungsnamen Ixodida. Das klingt nicht nur nach billiger SF: Ich habe meine Kindheit durch Gebüsche und Sträucher kriechend, auf Bäume kletternd und durch Wiesen rollend verbracht, musste hinter meinem wanderbegeisterten Vater hertrottend Wälder und Moore durchqueren und Berge erklimmen und fand anschließend nie solch ein Insekt in meinen Hautfalten – man hatte vielleicht mal davon gehört, dass es so etwas gab, aber im Großen und Ganzen war die Zecke ein Fabelwesen wie das Einhorn.
Plötzlich, vor ungefähr zehn Jahren, änderte sich alles: Den Frühlingsbeginn markierte nicht mehr die Kirschblüte oder der Osterplärrer, sondern Warnartikel über nie gehörte Krankheiten wie Borreliose oder FSME in den Zeitungen, aufwändige Karten über sich immer weiter ausbreitende Risikogebiete und eine Vielzahl widersprüchlicher Anleitungen, wie man die Blutsauger entfernt, ohne sie zu köpfen.
Dann ging es Schlag auf Schlag. Mit einem Mal kamen die Söhne mit Zecken vom Spielplatz und die Schwiegermutter aus ihrem Garten, Autan wurde noch giftiger und stinkender, die Apotheker verkauften Zeckenzangen und es wurde empfohlen, nicht mit kurzen Hosen zu wandern und keinen Urlaub mehr östlich von München zu machen.
Und jetzt bringt Amy (meine Katze, man erinnert sich) von ihren Ausflügen in die Natur in schöner Regelmäßigkeit dieses possierliche Ungeziefer mit ins Haus. Meist hängt die Ixodida wie ein Vampir an ihrer Kehle, genau an der Stelle, wo sie am liebsten gekrault wird. Frau Klammerle bekommt in ebenso schöner Regelmäßigkeit hysterische Anfälle, bis ich Held die nur mäßig begeisterte Katze von ihrem Quälgeist mit Hilfe einer Zange befreit habe und das Insekt zerquetscht und blutig entsorgt wurde. Gegen Flöhe und Würmer kann ich Amy impfen, gegen Zecken hilft nichts…

Deshalb:

Können wir nicht wieder wie im letzten Jahrhundert die Zecken einfach Zecken sein und aus dem kollektiven Gedächnis verschwinden lassen? Wie die Katzenberger existieren Zecken laut Platon nur, solange die Idee der Zecke (oder die Idee der Katzenberger) existiert. Die Zecke ist die Manifestierung der Idee der Zecke. Vergessen wir diesen εἶδος, endet auch die Existenz dieses Ungeziefers und ich kann weiterhin ohne Fahrradhelm durch die Gegend radeln und ruhig durchs Fernsehprogramm zappen…

Kein Bild einer Zecke, das war mir zu eklig. Stattdessen - und weil Herrn Heun in diesem Blog zu oft von Katzen die Rede ist - hänge ich ein in diesem Zusammenhang zugegebenermaßen sinnfreies Foto von einem leicht entspannten Hund ohne Zecken an, das ich im Urlaub gemacht habe.

Kein Bild einer Zecke, das war mir zu eklig. Stattdessen – und weil Herrn Heun in diesem Blog zu oft von Katzen die Rede ist – hänge ich ein  Foto von einem tiefenentspannten Hund ohne Zecken an, das ich im Urlaub gemacht habe.

3 thoughts on “Der Freitagsaufreger (II): Platon und das Ungeziefer”

  1. Dieser Hund hat scheinbar im wahrsten Sinne des Wortes die Ruhe und möglicherweise auch die Zecke weg. Gut so, Herr Klammerle, Du bist auf dem richtigen Weg.

  2. Aus aktuellem Anlass will ich noch ein weiteres Platonisches Phänomen ergänzen, das es erst im heißen Sommer 2013 aus dem Reich der Ideen in die Wirklichkeit geschafft hat:
    Das sog. „Blow-up“ (nicht mit dem gleichnamigen Film von Antonioni verwechseln), das bundesrepublikanische Autobahnen aufbläht und in tödliche Achterbahnen verwandelt. Vor diesem Sommer war es zwar auch mal sehr heiß, aber diesen Effekt gibt es erst jetzt. Seltsam…

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