Der Dienstagsroman (IV)

(Was bisher geschah: Der junge Missionar Martin Wolfenklau liegt in wilden Fieberträumen in einem schäbigen Zimmer in Singapur und kämpft mit den Geistern seiner Vergangenheit. Die ehemalige Prostituierte Parbati, mit der er gemeinsam vor der grausamen Gräfin aus dem Rimbu geflohen ist, pflegt ihn aufopfernd. Er versucht, die Frau, die er liebt, vor der mörderischen Gräfin zu warnen, aber ein erneuter Fieberanfall schleudert ihn zurück zu seiner Vergangenheit in Niederbayern, in der alles begann:)

2.  Das blutrote Mal

An diesem Morgen stand Martin Wolfenklau vor dem alten Vierseithof, der malerisch auf einem sanften Hügel über dem Briggidoi, dem Tal der Vilz, thronte. Der hoch und gerade gewachsene Jüngling, dem einige der Mädchen im Dorf schmachtende Blicke und lüsterne Gedanken hinterherwarfen – ohne dass sein reines Herz dies im Mindesten bemerkte – hatte gerade die späte Herbstsonne beim Erklimmen der Baumwipfel beobachtet: Sie mühte sich ab, den dichten Dunst über den abgeernteten Feldern zu vertreiben. Vielleicht würde es ihrer Wärme, die nun wie verliebt sein ebenmäßiges und edel geformtes Antlitz streichelte, gelingen, auch noch die letzten Nebelfetzen in den Wald zu scheuchen. Ja, so wäre heute ein guter Tag, die dampfende schwarze Erde im großen Garten hinter dem Hauptgebäude umzugraben, den seine Mutter zum Anbau von Stauden und Kräutern nutzte, die alle mit Heilkraft gesegnet waren. Selbstvergessen beugte sich Martin zu seiner alten, schwarz-weiß gefleckten Katze herab, die ihm träge um die Beine strich. Sein nachtschwarzes Haar fiel ihm dabei mutwillig in die Stirn.

Na, Annerl“, raunte er dem schnurrenden Tier zu, während er es im Nacken kraulte, „war die Mäusejagd erfolgreich heute Nacht?“ So weit sich Martin in seine Kindheit zurück erinnern konnte, war die hochbetagte, aber noch immer erstaunlich lebhafte Katze erfolgreich mit der Ratten- und Mäusebekämpfung auf dem Hof und in den Scheunen beschäftigt gewesen. Dieser Methusalem unter den Leisetretern musste mindestens schon sechzehn, siebzehn Jahre alt sein und war Martin ein unverzichtbarer Bestandteil seines Lebens. Undenkbar war ihm der vielleicht nicht mehr allzu ferne Morgen, an dem sie ihn nicht maunzend begrüßen würde, mit hoch erhobenem Schwanz aus einem Versteck im Heustadel kommend.

Martel, ich muss deine Mutter sprechen. Das Lieserl, meine Kuh, ist krank und braucht ihre heiligen Hände.“

Martin zuckte zusammen, denn er hatte das Nähertreten des Waldbauern nicht gehört. Das war weiter kein Wunder. Niemand sah oder hörte den silberhaarigen Xaver, wenn der es nicht wollte. Die Leute im Dorf erzählten sich, der Einödbauer wäre in der Lage, sich einem äsenden Reh nähern, ohne von dem scheuen Tier bemerkt zu werden. Ja, man munkelte sogar, der verschrobene Kauz könne das Wild berühren – es würde nicht flüchten oder auch nur ängstlich zittern. „Der Xaver ist Druide, der kennt sich aus“, sagten die Leute im Dorf und auch auf den abgelegenen Höfen, und einige von ihnen schlugen dabei verstohlen ein Kreuz oder machten eine schnelle Handbewegung gegen den bösen Blick.

Auch die Katze schien ihn erst jetzt zu bemerken. Mit dickem Schwanz und verärgertem Fauchen flitzte sie sogleich unter die nahe, üppig blühende Kletterrose, die sich an den rohen Balken des vorderen Stalls festklammerte. Von dort funkelte sie den Xaver, der ihr ohnehin keine Beachtung schenkte, mit gelbleuchtenden, verärgerten Augen an.

Angeregt durch schaurige Märchen, die Martin heimlich des Nachts im Schein einer Taschenlampe unter der Bettdecke las, fragte er als Kind seine strenge Mutter einmal, ob der alte Xaver denn mit dem Satan im Bunde stehe. Selten hatte der Junge seine Mutter so ärgerlich erlebt und musste damalsfür einen Moment gar befürchten, sie würde ihm eine Ohrfeige geben. Aber dann strich ihre im Zorn erhobene Hand nur sanft und erschöpft eine widerspenstige Haarsträhne aus seinem erschreckten Gesicht.

Der Xaver ist ein frommer Mann, er besitzt noch das alte Wissen. Der braucht diese Kirche nicht, nein, wahrhaft nicht!“

Selbst als Kind, das er war, hatte Martin sich über die merkwürdige Betonung von „braucht diese Kirche nicht“ gewundert – schließlich kam der Pfarrer Emeran pünktlich an jedem Monatsersten zu Besuch und blieb mindestens eine Stunde in intimem Gespräch mit der Mutter. Er saß dann gewichtig in der guten Stube, den Obstkuchen mit den fetten Butterstreuseln genießend, den die Mutter allein für Hochwürden buk. Der Pfarrer war in Martins Kinderaugen nicht solch ein unheimlicher Geselle wie der Xaver, sondern ein lammfrommer, sanfter, möglicherweise sogar heiliger Mann, der, wahrscheinlich in ein inniges Gespräch mit dem Herrgott vertieft, beständig leise murmelnd die Lippen bewegte, welche er dabei mit einer himbeerroten Zungenspitze befeuchtete. Dafür hatte ihn der Herr mit dem Martyrium eines nervösen Reizdarms gesegnet, dessen windige Auswirkungen sein leises Gebet und manchmal sogar die Angstpfeife der Orgel der Hl.-Kreuz-Kirche, die sich durch eine besondere Akustik auszeichnete, übertönten, auch wenn Hochwürden immer versuchte, seine Flatulenz mit einer knarzenden Holzbohle zu seinen Füßen zu verbergen.

Der Xaver allerdings, den Martin noch nie des Sonntags in der Messe gesehen hatte, erschien noch häufiger als Hochwürden Emeran und absichtlich immer nur, wenn dieser nicht in der Nähe war – er „könne ihn schlichtweg nicht riechen.“ Der Einsiedler brachte Wurzeln, Blätter und Beeren, manchmal auch die Leber oder das Herz eines toten Tieres, eingelegt  in mit Bärwurzschnaps gefüllten Marmeladegläsern. Aus all diesen guten Sachen rührte anschließend seine Mutter genau solch heilsame Salben wie die aus Stauden und Kräutern des eigenen Gartens.

(…Fortsetzung folgt!)

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